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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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aus, das Entsetzen hinwegzuschwemmen.
    Bei uns hieße es Vergewaltigung.
    Isaac konnte nicht verhindern, dass ihm sofort die entsprechenden Bilder vor Augen traten.
    Die Tat selbst, natürlich, obwohl sie verschwommen blieb ( hat er sie geschlagen? Niedergehalten? Wo ist es passiert? Hat sie geschrien, sich gewehrt?). Was er sah, überdeutlich, waren all die Aussichten, die Wege in die Zukunft, die Möglichkeiten, die Yagharek gestohlen hatte.
    Er sah die verwehrten Entscheidungen.
    Die Entscheidung, keinen Geschlechtsverkehr zu haben, keinen Schmerz zu erdulden. Die Entscheidung, nicht dem Risiko einer Schwangerschaft ausgesetzt zu werden. Und dann – wenn sie tatsächlich empfangen hätte? Die Entscheidung, nicht abzutreiben? Die Entscheidung, das Kind nicht auszutragen?
    Die Entscheidung, Yagharek mit Respekt zu begegnen?
    Isaacs Lippen bewegten sich stumm, aber Kar’uchai hatte noch nicht zu Ende gesprochen.
    »Es war meine Entscheidung, die er verwehrt hat.«
    Es dauerte etliche Sekunden, eine unangemessen lange Zeit, bis Isaac begriff, was Kar’uchai gesagt hatte. Dann stöhnte er auf und starrte sie an, bemerkte zum ersten Mal die leichte Wölbung der rein ornamentalen Brüste, so unnütz wie die Schmuckfedern des Paradiesvogels. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, doch er wusste nicht, was er fühlte: Da war nichts Greifbares, das sich in Worte fassen ließ.
    Schließlich murmelte er irgendetwas Teilnahmsvolles, beschämend flaue Phrasen, die ihm in den Sinn kamen.
    »Ich dachte, du wärst der Profos – oder der Häscher oder so was«, fügte er hinzu.
    »So etwas haben wir nicht.«
    »Yag – ein elender Vergewaltiger«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Er hat Entscheidung verwehrt.«
    »Er hat dich vergewaltigt!«
    »Er hat mir die Möglichkeit verwehrt zu wählen.« Es war keine Erweiterung seiner Aussage, sondern eine Richtigstellung. »Du kannst es nicht in deine Rechtsprechung übersetzen, Grimneb’Lin.« Sie wirkte ungehalten.
    Isaac wollte etwas sagen, schüttelte hilflos den Kopf, schaute sie an und sah vor seinem inneren Auge wieder die begangene Untat.
    »Du kannst es nicht übersetzen, Grimneb’Lin«, wiederholte Kar’uchai. »Versuche es nicht. Ich sehe – all die Gesetzestexte und Moralkodizes, die ich gelesen habe – in dir widergespiegelt.« Ihr Tonfall klang in seinen Ohren immer gleich. Die in den Pausen und Kadenzen ihrer Artikulation verschlüsselten Emotionen erreichten ihn nicht.
    »Man hat mir nicht Gewalt angetan, Grimneb’Lin. Ich bin nicht entehrt oder besudelt oder geschändet. Du würdest seine Tat Vergewaltigung nennen, ich tue es nicht. Dieses dein Wort hat für mich keine Bedeutung. Er hat mir verwehrt zu entscheiden, und dafür wurde er – gerichtet. Das Urteil war hart – nur eine Stufe unter der Höchststrafe. Es gibt viele Entscheidungsverwehrungen, die minder verabscheuungswürdig sind als seine, und nur wenig schlimmere … Und es gibt andere, die gleich bewertet werden – viele davon gänzlich verschieden von seiner Tat. Manche wären in deinen Augen gar keine Verbrechen.
    Die Taten sind verschieden: Das Verbrechen ist das Verwehren der Möglichkeit zu wählen. Deine Richter und Gesetze – die sexualisieren und kategorisieren – für die Individuen Begriffe sind – ihre Matrixnatur ignoriert – wo Zusammenhang eine Ablenkung darstellt – können das nicht fassen.
    Sieh mich nicht an mit den Blicken, die man für Opfer hat. Und wenn Yagharek zurückkehrt – bitte ich dich, unsere Gerechtigkeit zu achten und nicht dein eigenes Urteil darüber zu stellen.
    Er hat Entscheidung verwehrt, im zweithöchsten Grade. Er wurde verurteilt. Der Clan hat abgestimmt. Damit ist es zu Ende.«
     
    Wirklich?, dachte Isaac. Ist es zu Ende? Ist es damit getan?
    Kar’uchai beobachtete sein inneres Ringen.
    Lin rief nach Isaac, indem sie die Hände zusammenpatschte wie ein ungeschicktes Kleinkind. Er kniete rasch neben ihr nieder, sprach auf sie ein. Sie machte ängstliche Zeichen, und er antwortete in gleicher Weise, als ob ihre Gesten einen Sinn ergäben, als ob sie sich unterhielten.
    Schließlich war sie beruhigt und umarmte ihn und schaute mit ihrem unbeschädigten Facettenauge furchtsam zu Kar’uchai auf.
    »Wirst du unser Urteil respektieren?«, fragte die Garuda ruhig. Isaac warf ihr einen kurzen Blick zu, dann beugte er sich wieder über Lin.
    Kar’uchai wartete eine geraume Weile schweigend. Als Isaac sich nicht äußerte,

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