Perdido Street Station 02 - Der Weber
aufgeplusterte Machogehabe und Muskelspiel, mit dem man sich in Shankell einen Ruf und Prestige erwerben kann, ist hier oben nicht so gefragt. Aus dem Grund haben sie sich dieses Glashaus gebaut, wenn man mich fragt. Ein hübsch hässliches Stückchen Heimat in der Fremde. Man hat ihnen für den Bau besondere gesetzliche Regelungen zugestanden – nur die Götter wissen, was für Zugeständnisse sie machen mussten, um das zu erreichen. Theoretisch ist es exterritoriales Gebiet. Zutritt nur mit Genehmigung. Selbst die Miliz darf nicht ohne weiteres hinein. Sie haben ihre eigenen Gesetze da drin, alles wie zu Hause.
Aber realistisch gesehen ist das natürlich ein Witz. Du kannst deinen Arsch verwetten, dass sie in ihrem Glashaus verschimmeln würden ohne die Stadt drum herum. Scharenweise ziehen sie morgens zur Arbeit aus, mürrische Patrone, die sie sind, und bringen die Shekel heim nach Riverskin. Das Glashaus gehört New Crobuzon. Und ich bezweifle keinen Augenblick, dass die Miliz es stürmen kann, wann immer sie Lust hat.
Aber das Parlament und die Stadtverwaltung machen mit bei dem Spiel. Man spaziert nicht ungebeten in das Glashaus hinein, Yag, und wenn man es schafft reinzukommen – ich will verdammt sein, wenn ich weiß, was einen da drin erwartet.
Natürlich hört man dies und das. Von Leuten, die drin gewesen sind. Und es gibt Geschichten über das, was die Miliz von ihren Luftschiffen aus durch die Glaskuppel beobachtet hat. Aber die meisten von uns – mich eingeschlossen – haben keine richtige Vorstellung davon, was darin vor sich geht oder wie man es anstellt, sich ohne Pass Zutritt zu verschaffen.«
»Aber es gibt Wege, garantiert«, warf Derkhan ein. »Vielleicht lässt Freund Girrvogel sich breitschlagen, für dein Gold ein bisschen zu spionieren? Und wenn er’s tut, wette ich, er findet ein Schlupfloch. Du kannst mir nicht erzählen, dass es im Glashaus kein Verbrechen gibt. Das glaube ich dir nicht.« Ihre Miene war entschlossen, ihre Augen funkelten. »Konzil«, wandte sie sich an den nackten Mann. »Sind welche von dir im Glashaus?«
Der Avatar schüttelte den Kopf. »Die Kaktusleute benutzen nicht viele Konstrukte. Keine von mir sind im Innern gewesen. Deshalb kann ich nicht genau sagen, wo die Gierfalter ihr Nest gebaut haben, nur, dass sie im Innern dieser Kuppel schlafen.«
Während der Avatar redete, kam Isaac eine plötzliche Erleuchtung.
Er überlegte hin und her, suchte nach Möglichkeiten, in das Glashaus einzudringen, als er zu seiner Verblüffung erkannte, dass im Grunde genommen nichts ihn davon abhielt, all dem einfach den Rücken zu kehren. Lemuels zynischer Rat fiel ihm wieder ein: Überlass die Sache den Profis!
Damals hatte er empört abgewinkt, doch jetzt ging ihm auf, dass es ihm tatsächlich frei stand, diesen Ausweg zu wählen. Es gab tausend Möglichkeiten, der Miliz anonym einen Tipp zu geben: Der Staat selbst förderte Zuträgerei. Er wusste, wo die Gierfalter zu finden waren – warum es nicht denen da oben sagen, mit ihrer Macht, ihren Soldaten und Wissenschaftlern, ihren enormen Ressourcen? Er konnte ihnen stecken, wo die Falter nisteten, und sich selbst grußlos empfehlen. Sollte die Miliz für ihn Jagd auf die Biester machen und sie wieder einfangen. Der Falter, der es auf ihn persönlich abgesehen hatte, war aus dem Spiel, die unmittelbare Lebensgefahr gebannt.
Wirklich, Lemuels Vorschlag war nicht schlecht …
Doch er war nie, nicht eine Sekunde lang, wirklich versucht, ihn zu befolgen.
Isaac dachte zurück an Vermishanks Verhör. Der Mann hatte sich die größte Mühe gegeben, seine Angst nicht zu zeigen, doch man konnte ihm deutlich ansehen: Er glaubte nicht an die Fähigkeit der Miliz, die Gierfalter unschädlich zu machen. Und jetzt, verkörpert in diesem Konstrukt Konzil, begegnete er zum ersten Mal einer Macht, die bewiesen hatte, dass sie die mörderischen Bestien töten konnte. Eine Macht, die nicht mit der Regierung kooperierte, sondern ihre Dienste ihm und seinen Freunden antrug – ob nun selbstlos oder aus gesundem Eigeninteresse mochte dahingestellt bleiben.
Er war im Ungewissen, was die Motivation des Konzils anging, seine Gründe dafür, im Hintergrund zu bleiben, doch es genügte zu wissen, dass diese Waffe nicht der Miliz zur Verfügung stand. Und für die Stadt war es die beste Chance auf Erlösung von dem Übel. Er konnte ihr das nicht versagen.
So weit, so gut.
Doch tief in seinen Eingeweiden brodelte eine um vieles stärkere
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