Perdido Street Station 02 - Der Weber
für ein paar Stunden der drückende Schleier der Albtraumsaat.
Trotz Müdigkeit und Kummer fühlten sich Isaac und Derkhan, sogar Yagharek, neu belebt vom Triumph des Konzils. Isaac trat näher an den sterbenden Falter heran, betrachtete den halb zerschmetterten Schädel, die unbestimmten, paradoxen Züge. Derkhan wollte ihn verbrennen, ein für alle Mal zerstören, doch der Avatar ließ es nicht zu. Er wollte den Kopf der Kreatur behalten, um ihn in stillen Stunden zu untersuchen und mehr über das Movens und die Affekte eines Gierfalters zu erfahren.
Bis gegen zwei Uhr Morgens klammerte die Kreatur sich mit erlahmender Kraft ans Leben, dann starb sie mit einem lang gezogenen Seufzer. Aus dem schlaffen Maul lief ein faulig nach Zitrone riechendes Speichelrinnsal. Man spürte eine bebende Freisetzung aufgespeicherter fremder Kümmernis, ein Wellenschlag, der über der Halde verebbte, als die empathischen Ganglien des Gierfalters im Tode erschlafften.
Eine erhabene Stille sank herab.
Mit grotesk anmutender Kameradschaftlichkeit setzte sich der Avatar zu den beiden Menschen und dem Garuda. Sie beratschlagten. Sie versuchten, Pläne auszuarbeiten. Sogar Yagharek mischte sich ein, mit beherrschter Erregung. Er war ein Jäger. Er wusste, wie man Fallen stellt.
»Wir können im Grunde gar nichts tun, solange wir nicht wissen, wo die Biester sich verkrochen haben«, sagte Isaac. »Entweder machen wir Jagd auf sie, oder wir müssen uns als Köder anbieten und hoffen, dass sie von den Millionen Seelen in der Stadt ausgerechnet Appetit auf unsere haben.«
Derkhan und Yagharek nickten zustimmend.
»Ich weiß, wo sie sind«, sagte der Avatar.
Die anderen starrten ihn mit großen Augen an.
»Ich weiß, wo sie sich verbergen. Ich weiß, wo sie nisten.«
»Woher?«, zischte Isaac. »Wo?« In seiner Aufregung fasste er nach dem Arm des Wiedergängers, dann riss er die Hand erschreckt wieder zurück. Er hatte sich vorgebeugt, und aus nächster Nähe gesehen, traf ihn das Grauen dieses Gesichts wie ein Schlag. Er konnte den Rand des durchtrennten Schädelknochens hinter der eingerollten Kopfschwarte sehen, grauweiß, mit schwärzlichen Blutkrusten. Er sah das blutbeschmierte Kabel in den Gewebefalten am Grund der leeren Schale verschwinden, aus der man das Gehirn herausgerissen hatte.
Die Haut des Avatars fühlte sich trocken an und steif und kalt, wie abgehangenes Fleisch. Seine Augen, mit ihrem immer gleichen Ausdruck von Konzentration und kaum verborgener Qual, musterten ihn.
»Alle Teile von mir haben die Überfälle zurückverfolgt. Ich habe Datum und Orte verglichen. Ich habe Zusammenhänge gefunden und systematisiert. Ich habe die Daten von Kameras und Rechenmaschinen einbezogen, deren Informationen ich stehle, die unerklärlichen Schatten am Nachthimmel, die Silhouetten, die zu keiner der in der Stadt ansässigen Rassen gehören.
Es ergaben sich komplexe Muster. Ich habe sie schematisiert. Ich habe Möglichkeiten ausgemerzt und die übrig gebliebenen Wahrscheinlichkeiten von hoch entwickelten mathematischen Programmen prüfen lassen. Mit unbekannten Variablen ist absolute Gewissheit nicht zu erreichen. Doch gemäß der verfügbaren Daten liegt die Chance bei achtundsiebzig Prozent, dass das Nest sich dort befindet, wo ich sage.
Die Falter leben im Glashaus, über den Köpfen der Kaktusleute, in Riverskin.«
»Dammich«, sagte Isaac nach kurzem Schweigen. »Sind sie Tiere? Oder denken sie sich was dabei? Jedenfalls ist es genial. Das beste Versteck, das ich mir vorstellen kann.«
»Wieso?«, fragte Yagharek unerwartet.
Isaac und Derkhan schauten ihn an.
»Die Kaktusleute von New Crobuzon sind nicht wie die im Cymek, Yag«, erklärte Isaac. »Oder vielmehr, sie sind so, und da liegt vielleicht das Problem. Du hast wahrscheinlich in Shankell mit ihnen zu tun gehabt. Du kennst sie. Unsere Kaktusleute hier sind ein Stamm eben jener Wüstenkakteen, der nach Norden gewandert ist. Ich weiß nicht viel über die anderen, die es noch gibt, die Bergkakteen auf den Hochebenen im Osten. Aber ich kenne den südlichen Typus, und ihre Lebensart hat sich nicht besonders gut nach hier verpflanzen lassen.«
Er verstummte und seufzte und rieb sich die Schläfen. Er fühlte sich ausgelaugt, und die Kopfschmerzen waren noch nicht besser geworden. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, vorbeizudenken an den quälenden Erinnerungen an Lin dicht hinter seinen Augen. Er schluckte schwer und sprach weiter.
»Das ganze
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