Perfect Copy - Die zweite Schöfung
wird jeden Moment da sein. Sie werden bei Wolfgang noch einmal eine Genanalyse vornehmen.«
Ein herablassendes Lächeln kroch in Vaters Gesicht.
»Eine Genanalyse? Ach wirklich? Und was, bitte, wollen sie da analysieren? Wolfgangs Bruder ist tot, sein Leichnam unauffindbar verschwunden. Es gibt kein Vergleichsmaterial.«
Leo Franck verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie Wolfgang mir erklärt hat, benötigt man überhaupt kein Vergleichsmaterial, um festzustellen, ob jemand geklont ist. Und bei dem Telefonat mit dem Kommissar hat sich herausgestellt, dass die Leute vom Deutschen Biotechnischen Institut das auch so sehen.«
Vaters winziges Lächeln gefror. Er sah sich nach Wolfgang um. »Interessant.« Es klang misslungen. In seinen Augen war mit einem Mal Angst zu lesen.
»Und wie soll das gehen?«
Wolfgang hielt dem bohrenden Blick stand, so gut es ging. Er spürte, wie sich etwas in seinem Unterkiefer verkrampfte. »Sie werden die Länge meiner Telomeren messen«, sagte er mit aller Ruhe, die er aufbrachte. Ein Volltreffer, das war unübersehbar. Sein Vater wollte den Mund öffnen, um noch etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder und sank in sich zusammen, besiegt. Jetzt hätten sie da sein sollen, die Polizisten. Dies war der Moment, in dem sie ein Geständnis bekommen hätten.
Und er würde schnell vorbei sein, wie er Vater kannte. Svenja hielt es nicht mehr aus. »Wolfgang, bitte…!?« Ihre Handfläche knallte auf den Tisch, unabsichtlich wohl, denn sie schien selber zu erschrecken. »Wovon redest du, um Himmels willen?«
Er sah sie an und merkte dabei, wie sehr es in seinem Inneren brodelte. »Ich habe dieses Buch ausgeliehen, erinnerst du dich? Über Gentechnik, Klonen, Zellen und so weiter. Darin steht alles. Und es ist überhaupt nicht schwierig zu begreifen.« Er warf Vater einen wütenden Blick zu. »Telomere sind Strukturen an den Enden der Chromosomen, die sich im Lauf des Lebens immer weiter verkürzen, bei jeder Zellteilung ein kleines bisschen. Wenn ich wirklich ein Klon bin, heißt das, dass meine Gene aus einer Körperzelle eines anderen Me n schen stammen – und damit sind sie älter als ich! Man kann messen, wie lang die Telomeren an den Enden meiner Chr o mosomen sind. Falls sie kürzer sind, als sie bei jemandem meines Alters sein dürften, bin ich ein Klon, ganz einfach.«
Und es war so. Er brauchte nur seinen Vater anzusehen, um zu wissen, dass die Untersuchung genau dieses Ergebnis haben würde. Es war alles wahr, alles. Es war ein entsetzliches Gefühl von Verlorenheit, ein Gefühl wie ein eisernes Gewicht, unter dessen Last sein Herz nur noch mühsam schlug.
Unten klingelte es erneut. Die Polizei. Zu spät, wenn er den kriegerischen Ausdruck im Gesicht seines Vaters richtig deutete.
Leo stand auf. »Diesmal gehe ich selbst«, sagte er.
»Ich glaub das alles nicht«, flüsterte Svenja ins Leere.
Man hörte die Schritte auf der Treppe, verhaltene, sonore Stimmen von der Haustür.
Wolfgang beugte sich über den Tisch und zog das Foto wieder zu sich her, mit dessen Entdeckung alles angefangen hatte. Er legte es vor sich hin, starrte es an. Als er in die erdr ü ckende Stille hinein sprach, tat er es zu sich selbst. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wer der Mann ist«, sagte er. »Tagelang habe ich mir das Hirn zermartert. Am Schluss habe ich an meinem Verstand gezweifelt. Wer ist der Mann, habe ich mich wieder und wieder gefragt. Wieso kenne ich ihn nicht?« Er lachte bitter auf. »Ich hätte mir bloß einmal die Frage stellen sollen, wer der Junge ist!«
Er beugte sich darüber, über dieses einzige Bild seines Bruders, das er je zu sehen bekommen hatte, und in diesem Moment entdeckte er es. Es war die ganze Zeit da gewesen. Unübersehbar. Er hätte nur ein einziges Mal genau hinschauen müssen.
Er hatte das Gefühl, seine Augen anschwellen zu spüren.
»Ach du meine Güte«, stieß er hervor. »Das kann doch nicht wahr sein.«
Er sah hoch, suchte den Blick Irenas und bat, während er nach seinem Geldbeutel tastete: »Ich muss telefonieren. Bitte. Unbedingt.«
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Kapitel 15
Das Auftreten der Polizisten machte unmissverständlich klar, dass das Verbrechen in der Hauptstadt einen anderen Stellenwert genoss als in den ländlichen Regionen des Schwarzwalds. Die vier Männer, die die Küche betraten und sich dabei nach allen Seiten umsahen, als erwarteten sie, in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein, trugen wuchtige Waffen am Gürtel
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