Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Schrei nach Aufmerksamkeit oder eine sexuelle Perversion, oder die Patienten hätten als Kind einen Amputierten gesehen und dieses Bild habe sich als Ideal bei ihnen eingebrannt. All diese Theorien zweifelten die Existenz einer echten Empfindung an. Es geschah alles nur in den Köpfen der Patienten.
Ramachandran führte einfache Gespräche mit einigen betroffenen Patienten und machte dabei Entdeckungen, welche die bisherigen Vorstellungen widerlegten. Seltsamerweise ging es in allen Fällen um das linke Bein. Bei den Gesprächen stellte Ramachandran fest, dass die Patienten nicht auf Aufmerksamkeit aus oder sexuell pervers waren, sondern ein echtes Verlangen spürten, das auf einigen sehr realen Empfindungen beruhte. Sie alle markierten mit einem Stift die genaue Stelle, an der sie amputiert werden wollten.
Er führte einen Test der elektrodermalen Aktivität an den Körpern der Patienten durch (bei dem kleinste Schmerzreaktionen aufgezeichnet werden) mit völlig normalen Ergebnissen, außer bei dem Teil des Beines, den die Patienten amputieren lassen wollten. Dort zeigte sich eine extreme Reaktion. Der Patient empfand diesen Körperteil als zu sehr vorhanden, zu intensiv, und der einzige Weg, um dieser Überempfindung zu entgehen, war die Amputation.
In nachfolgenden Arbeiten lokalisierte Ramachandran die neurologische Schädigung in dem Teil des Gehirns, der unser Körpergefühl erzeugt und kontrolliert. Es handelte sich dabei um eine angeborene Schädigung oder eine, die in frühester Kindheit entstand. Das Gehirn erzeugte bei einer völlig gesunden Person eine irrationale Vorstellung vom eigenen Körper. Anscheinend war auch unser Selbstbild sehr viel subjektiver und veränderlicher, als wir gedacht hatten. Wenn unser eigenes Körpergefühl im Gehirn konstruiert wird und durcheinander geraten kann, dann ist vielleicht auch unser Selbstbild nur konstruiert oder eine Illusion, die wir nach unseren Bedürfnissen erschaffen und die gestört sein kann. Die Konsequenzen hieraus reichen weit über die Neurowissenschaft hinaus.
Es gibt zwei Sorten von Tieren: Spezialisten und Opportunisten. Spezialisten, wie Falken oder Adler, haben eine dominante Fähigkeit, von der ihr Überleben abhängt. Wenn sie nicht auf der Jagd sind, schalten sie oft in einen vollständigen Entspannungsmodus. Bei Opportunisten fehlt eine solche spezielle Fähigkeit. Ihr Überleben hängt von ihrem Geschick ab, jede Gelegenheit in ihrer Umwelt aufzuspüren und zu nutzen. Sie sind immer angespannt und empfangsbereit für Reize von außen. Wir Menschen sind die ausgeprägtesten Opportunisten unter den Tieren und am wenigsten spezialisiert von allen Lebewesen. Unser gesamtes Gehirn und Nervensystem sind auf die Suche nach guten Gelegenheiten ausgerichtet. Unsere urzeitlichen Vorfahren stellten sich nicht vor, wie ein Werkzeug aussehen sollte, das ihnen das Sammeln und Jagen erleichtern sollte. Sie fanden irgendwann einen ungewöhnlich scharfen oder langen Stein (eine Anomalie) und erkannten darin eine Möglichkeit. Sie hoben ihn auf, und als sie ihn in der Hand hielten, kamen sie auf die Idee, ihn als Werkzeug zu benutzen. Unsere kreativen Fähigkeiten beruhen auf dieser opportunistischen Veranlagung unseres Denkens, und wenn wir uns diese Neigung zunutze machen, können wir diese Fähigkeiten maximieren.
Viele Menschen nehmen kreative Unternehmungen vom falschen Ende her in Angriff. Vor allem junge und unerfahrene Menschen setzen sich erst ein ehrgeiziges Ziel, eine Geschäftsidee, eine Erfindung, oder ein Problem, das sie lösen wollen. Sie erhoffen sich dadurch Geld und Aufmerksamkeit. Dann suchen sie nach Wegen, um dieses Ziel zu erreichen. Eine solche Suche kann sich in Tausend verschiedenen Richtungen bewegen, die sich jeweils anders entwickeln können, aber auf dieser Suche kann man sich auch völlig verausgaben, sodass man den Schlüssel zum eigentlichen Ziel niemals findet. Auf dem Weg zum Erfolg gibt es einfach zu viele Variablen. Erfahrene und weise Menschen, wie Ramachandran, sind Opportunisten. Sie setzen sich kein übergeordnetes Ziel, sondern suchen nach dem Hebelpunkt – ein empirisch belegtes Phänomen, das nicht ins Paradigma passt und doch neugierig macht. Diese Daten stechen heraus und erregen die Aufmerksamkeit der Opportunisten, wie der lange Stein. Sie haben kein bestimmtes Ziel und sie wissen auch noch nicht, welche Anwendungsmöglichkeiten ihre Entdeckung haben wird, aber sie sind offen für alle möglichen Resultate.
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