Perfekt
ihrer ausgesprochen lebhaften Fantasie freien Lauf ließ: »Ich meine, in diesen Kulturen, in denen Figuren aus Schnee und Eis als genuine Kunstwerke gelten, geht es niemals nur darum, drei Schneekugeln zu einem Schneemann zusammenzufügen. Man formt vielmehr ein ganzes Panorama um die Figur herum, mit Ästen, Beeren und Steinen«, sagte sie, während sie ein Paar wasserabstoßende Skihandschuhe anzog, die sie am Boden des Schrankes gefunden hatte. Dann stand sie auf, lächelte ihn über die Schulter freundlich an, schloß die Schranktür und fügte hinzu: »Ist das nicht interessant?«
Er nahm ein Messer aus der Besteckschublade und öffnete einen Küchenschrank. »Faszinierend«, spottete er.
»Das klingt aber nicht besonders fasziniert«, klagte Julie, entschlossen, ihn soweit zu bringen, daß er sie hinausschickte und ihr sagte, sie solle ihn in Ruhe lassen. »Ich meine, Sie könnten wenigstens versuchen, sich dafür zu interessieren. Haben Sie nicht selbst ein paar tolle Ideen? Denken Sie nur daran, wieviel Spaß es machen würde ...«
Er warf die Schranktüre mit einem Knall zu, der Julie herumfahren ließ; ihr Blick blieb auf dem Messer in seiner Faust haften. »Julie«, sagte er drohend, »halten Sie endlich den Mund!«
Sein plötzlicher Stimmungsumschwung hätte ausgereicht, sie daran zu erinnern, daß Zachary Benedict ein gefährlicher, unberechenbarer Mann war, doch mit dem Messer in der Hand und seinem böse funkelnden Blick wirkte er, als sei er tatsächlich in der Lage, einen Menschen kaltblütig zu ermorden.
Zack bemerkte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich, er sah, wie sie das Messer anstarrte, und wußte genau, was sie jetzt von ihm dachte. Sein Ärger steigerte sich zu ohnmächtigem Zorn. »Ganz recht«, höhnte er, »ich bin ein überführter Mörder.«
»A-aber Sie haben doch gesagt, daß Sie unschuldig sind«, erinnerte sie ihn und bemühte sich erfolglos, ruhig zu sprechen.
»Das habe ich gesagt«, erwiderte er mit samtweicher Stimme, die ihr kalte Schauer über den Rücken jagte, »aber Sie wissen es ja besser, nicht wahr, Julie?«
Sie schluckte krampfhaft und ging mit kleinen Schritten rückwärts den kurzen Gang hinunter. »Kann ich jetzt rausgehen?« Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, griff sie blindlings nach der Tür und riß sie auf.
Zack blieb wütend zurück und versuchte sich zu beruhigen und den Ausdruck blanken Entsetzens zu verdrängen, den er in ihrem Gesicht gesehen hatte. Er sagte sich, daß es schließlich keine Rolle spielte, was sie dachte - und auch, daß sie einfach bezaubernd wirkte, wenn sie über Schneemänner redete, und daß sie reizend und gut und sauber sei und daß er sich neben ihr menschenunwürdig und schmutzig vorkäme.
Wenige Minuten später hörte er Nachrichten im Radio, und seine Stimmung hob sich beträchtlich: Dem Nachrichtensprecher zufolge ging es Sandini nicht besser, aber sein Zustand hatte sich auch nicht verschlimmert. Er hielt durch. Zack startete den Sendersuchlauf und fand endlich eine Radiostation, die nur Nachrichten und keine Musik ausstrahlte. Er wollte gerade in den Wohnraum zurückkehren, als der Kommentator verkündete, ein Mann, den die kanadischen Behörden für Zachary Benedict hielten, habe vor zwei Tagen in einem gemieteten schwarzen Sedan bei Windsor die kanadische Grenze passiert.
26
»Verdammt«, sagte Julie leise, als sie aus dem Blazer glitt, der immer noch hinter dem Haus stand und von den großen Panoramafenstern aus nicht sichtbar war. In den fünfzehn Jahren, seit sie ihre erste und einzige Lektion im Kurzschließen von Autos erhalten hatte, war entweder die Verkabelung geändert worden, oder aber sie war keine sehr aufmerksame Schülerin gewesen, denn sie hatte nicht den blassesten Schimmer, welche der zahllosen Kabel, die sie unter dem Armaturenbrett hervorgezogen hatte, die richtigen waren.
Zitternd vor Kälte bückte sie sich, hob den Armvoll Kiefernzweige auf, die sie gesammelt hatte, und rannte damit durch Wind und Schnee vor das Haus. Die gesamten fünfzehn Minuten, die sie draußen war, hatte er am Fenster gestanden und sie ausdruckslos beobachtet. Der angebliche Bedarf an Material für das geplante Schneepanorama erlaubte es ihr, genau wie sie gehofft hatte, öfters mehrere Minuten lang aus seinem Blickfeld zu verschwinden, ohne sein Mißtrauen zu wecken, doch sie hatte Angst, zu lange wegzubleiben. Bisher hatte sie drei kurze Abstecher gemacht, von denen sie nach drei erfolglosen Versuchen, den
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