Perfekt
schnurstracks zu einer Telefonzelle und rufst deine Eltern an. Die Polizei wird mithören, also bemühe dich, möglichst nervös und verwirrt zu klingen. Erzähl ihnen, daß ich dich an der Raststätte mit verbundenen Augen auf dem Rücksitz zurückgelassen hätte und dann verschwunden wäre. Du hättest zunächst abgewartet und dich schließlich befreit. Sag ihnen, daß du dich auf den Heimweg machst. Sobald du daheim angekommen bist, hältst du dich genau an die Wahrheit.«
Früher am Morgen hatte er bereits einen Schal aus dem Haus genommen, ihn so verknotet, als sei er um ihren Kopf gebunden gewesen, und ihn ins Auto geworfen. Julie schluckte und nickte, weil es nichts weiter gab, was sie hätte tun oder sagen können - wenigstens nichts, was er hätte hören wollen.
»Noch Fragen?«
Julie schüttelte den Kopf.
»Gut. Und jetzt gib mir einen Abschiedskuß.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, und war überrascht, als seine Arme sie mit unerwarteter Heftigkeit umschlossen. Aber sein Kuß war kurz, und er gab sie sofort wieder frei. »Es wird Zeit«, sagte er tonlos.
Sie nickte, war aber nicht in der Lage, sich zu bewegen; ihr Entschluß, zum Abschied keinerlei Szene zu machen, drohte ins Wanken zu geraten. »Du wirst mir doch schreiben, nicht wahr?«
»Nein.«
»Aber du könntest mich doch wissen lassen, wie es dir geht«, sagte sie verzweifelt, »auch wenn du nicht schreibst, wo du dich aufhältst. Ich muß einfach wissen, daß du in Sicherheit bist! Du hast selber gesagt, daß sie meine Post bestimmt nicht sehr lange überwachen werden - sofern sie es überhaupt tun.«
»Wenn sie mich fassen, wirst du es binnen weniger Stunden in den Nachrichten hören. Hörst du nichts, kannst du davon ausgehen, daß ich in Sicherheit bin.«
»Aber warum kannst du mir nicht schreiben?« brach es aus ihr heraus, doch als sie sah, wie sich seine Miene verhärtete, bereute sie es sofort.
»Keine Briefe, Julie! Wenn du heute hier wegfährst, ist es aus. Dann ist es zwischen uns zu Ende.« Seine Worte trafen sie wie Peitschenschläge, obwohl sein Tonfall alles andere als unfreundlich war. »Von morgen an wirst du dein früheres Leben weiterführen. Tu so, als sei all das nie passiert, dann wirst du es innerhalb weniger Wochen vergessen haben.«
»Vielleicht bist du zu so etwas in der Lage, ich jedenfalls kann es nicht«, sagte sie und haßte sich dafür, daß ihre Stimme weinerlich und flehend klang. Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre Worte damit ungeschehen machen, und wandte sich zum Auto, wobei sie sich ärgerlich die Tränen aus den Augen wischte. »Ich fahre jetzt besser, bevor ich mich wie ein Idiot benehme.«
»Nein«, flüsterte er heiser, griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück. »Nicht so.« Sie blickte in seine Augen, und zum erstenmal kamen Julie Zweifel, ob er den Abschied wirklich so leicht nahm, wie er sie glauben lassen wollte. Er legte seine Handfläche an ihre Wange, strich ihr über das Haar und sagte fast feierlich: »Das einzig Dumme, was du in der letzten Woche getan hast, war, daß du dir zuviel Gedanken um mich gemacht hast. Alles andere, was du gesagt und getan hast, war ... richtig. Es war einfach - gut.«
Mit den Tränen kämpfend, schloß Julie die Augen und küßte seine Handfläche, so wie er zuvor ihre geküßt hatte. Dabei flüsterte sie: »Ich liebe dich so sehr.«
Er riß seine Hand weg, und seine Stimme klang plötzlich herablassend. »Du liebst mich nicht, Julie. Du bist naiv und unerfahren, und du verwechselst einfach guten Sex mit wahrer Liebe. Jetzt sei ein braves Mädchen - fahr nach Hause, wo du hingehörst, und vergiß mich. Das ist das einzige, was ich von dir erwarte.«
Sie kam sich vor, als hätte er sie geschlagen, ließ sich ihre Kränkung aber nicht anmerken. »Du hast recht«, sagte sie ruhig und fast würdevoll, während sie ins Auto stieg. »Es wird Zeit, daß ich in die Realität zurückkehre.«
Zack blickte dem Blazer nach, bis er um die erste Kurve gefahren und zwischen den hohen Schneebergen verschwunden war. Er blieb noch lange so stehen, obwohl sie längst fort war, und erst als der eisige Wind ihn daran erinnerte, daß er nur mit einer leichten Jacke bekleidet im Freien stand, ging er ins Haus zurück. Er hatte sie verletzt, weil er es tun mußte. Er durfte nicht zulassen, daß sie einen weiteren Augenblick ihres kostbaren Lebens daran verschwendete, ihn zu lieben oder ihn zu vermissen oder auf ihn zu warten. Indem er ihre
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