Perfekt
Anschlag und jagte den Streifenwagen den Privatweg entlang, der zum Anwesen der Cahills führte. Am Ende der Allee öffnete sich bereits das elektrische Tor, das Katherine, die das Fahrzeug über eine Videoanlage kommen sah, durch einen Knopfdruck geöffnet hatte. Die nachfolgenden Wagen mit den Reportern hatten den Anschluß verpaßt, doch Julie war zu entnervt, um sich mit Ted über ihr gelungenes Entkommen zu freuen. Carls Blazer parkte bereits in der Auffahrt vor dem eindrucksvollen Backsteinbau, doch als Julie aussteigen wollte, griff Ted nach ihrem Arm und hielt sie zurück. »Ich glaube, es ist besser, wir unterhalten uns erst einmal hier unter vier Augen.« Er wandte sich ihr zu und legte seinen Arm um die Lehne ihres Sitzes. »Als dein Anwalt habe ich das Recht, alles, was du mir erzählst, vertraulich zu behandeln. Carl besitzt dieses Vorrecht nicht, und auch Katherine müßte das, was du in ihrer Anwesenheit sagst, gegebenenfalls vor Gericht wiederholen.«
»Als mein Anwalt? Hast du das letzte Staatsexamen bestanden?«
»Ich habe zumindest nichts Gegenteiliges gehört«, sagte er knapp. »Gehen wir also davon aus, daß ich es in der Tasche habe und nur bedingt durch technische Verzögerungen noch nicht darüber informiert wurde.«
Die Kälte in Julies Knochen kam nicht daher, daß er den Motor und damit die Heizung abgestellt hatte. »Ich brauche keinen Anwalt.«
»Ich fürchte, das wirst du doch.«
»Warum?«
»Weil du letzte Nacht nicht die ganze Wahrheit erzählt hast. Du bist eine verdammt schlechte Lügnerin, Julie, was zweifellos daher kommt, daß du keinerlei Übung darin hast. Schau mich nicht so giftig an. Ich versuche nur, dir zu helfen.«
Julie schob ihre Hände in die Ärmel der mit Schaffell besetzten Lederjacke, um sie warmzuhalten, und fixierte interessiert einen Fussel auf ihrer Hose.
»Also laß hören!« befahl er. »Erzähl mir, was du dem FBI verschwiegen hast!«
Julie liebte ihren Bruder von ganzem Herzen, und es widerstrebte ihr, ihm zum ersten Mal in all den Jahren etwas sagen zu müssen, was, wie sie wußte, sein Mißfallen erregen würde, doch sie hob den Kopf und erwiderte seinen Blick. »Gibst du mir dein Ehrenwort, daß du niemals jemandem erzählen wirst, was ich dir jetzt sage?«
Daß sie darauf bestand, machte die Sache in seinen Augen noch viel schlimmer, und er fluchte leise. »Du steckst noch tiefer drin als ich dachte, stimmt's?« »Ich weiß nicht, was du gedacht hast, Ted. Gibst du mir jetzt dein Wort darauf oder nicht?«
»Natürlich hast du mein Wort darauf!« antwortete er wütend. »Ich würde für dich durchs Feuer gehen, Julie, und das weißt du auch! Und Carl würde dasselbe tun.«
Bei seinen Worten durchzuckte ein schmerzlicher Stich Julies Herz, aber sie rief sich ins Gedächtnis zurück, daß sie sich vorgenommen hatte, keine Tränen mehr zu vergießen, und holte tief Luft. »Danke.«
»Bedanke dich nicht bei mir, sondern rede endlich! Welche Lügen hast du dem FBI letzte Nacht aufgetischt?«
»Er hat mir nicht die Augen verbunden. Ich weiß, wie man zu dem Haus in Colorado kommt.«
Sie bemerkte, daß es ihn Mühe kostete, keine Miene zu verziehen. »Und weiter?«
»Nichts weiter. Das ist alles.«
»Das ist was?«
»Das ist der einzige Punkt, in dem ich absichtlich die Unwahrheit gesagt habe.«
»Und in welchen Punkten hast du dadurch gelogen, daß du etwas nicht erzählt hast? Was hast du verschwiegen?«
»Nichts, was irgend jemand etwas anginge.«
»Sei deinem Anwalt gegenüber aufrichtig! Was hast du verschwiegen? Ich muß es wissen, damit ich dich entweder selber beschützen oder dir einen erfahrenen Anwalt suchen kann.«
»Versuchst du herauszufinden, ob ich mit ihm geschlafen habe?« fuhr Julie ihn an; ihre Erschöpfung und Anspannung waren plötzlich in Verärgerung umgeschlagen. »Wenn es nämlich das ist, dann rede nicht so um den heißen Brei herum, wie Richardson es getan hat. Frag mich einfach!«
»Sag du bloß nichts gegen Richardson«, konterte Ted nicht weniger aggressiv. »Nur ihm hast du es zu verdanken, daß Ingram dich nicht viel härter angepackt hat. Ingram weiß, daß du etwas - vielleicht sogar viel - verschweigst, aber Richardson ist so in dich vernarrt, daß er es zuläßt, daß du ihn um den kleinen Finger wickelst.«
»Richardson ist grob und unhöflich.«
»Und du bist dir nicht bewußt, was für eine Wirkung du auf Männer hast. Richardson ist verdammt frustriert«, machte Ted seine Ansicht deutlich.
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