Perfekt
sagen?«
»Ich will damit sagen«, antwortete Ingram, »daß du, seit wir hierhergekommen sind und angefangen haben, uns bei ihren Bekannten über sie zu erkundigen, von dieser Frau und ihrem guten Charakter direkt besessen bist. Jedesmal, wenn jemand dir etwas Positives über sie erzählt hat, bist du weicher geworden; jedesmal, wenn du mit einem der behinderten Kinder oder deren Eltern geredet hast, bist du tiefer hineingeschlittert. Verdammt, als du rausgefunden hast, daß sie auch Analphabeten unterrichtet und im Kirchenchor singt, warst du schon fast soweit, sie heiligzusprechen. Und heute bei dem Verhör hast du jedesmal, wenn sie mißbilligend auf deinen Tonfall oder eine Frage reagiert hat, prompt nachgegeben. Du warst schon zu ihren Gunsten voreingenommen, als du das erstemal ein Bild von ihr gesehen hast, aber als du sie jetzt in Fleisch und Blut vor dir hattest, ist deine Objektivität völlig flöten gegangen.«
»Das ist doch ausgemachter Blödsinn.«
»Tatsächlich? Dann erzähl mir doch bloß mal, warum du dich so verdammt angestrengt hast herauszufinden, ob sie mit Benedict geschlafen hat oder nicht. Sie hat dir zweimal gesagt, daß er sie nicht vergewaltigt oder dazu gezwungen hat, mit ihm ins Bett zu gehen, aber das hat dir ja nicht gereicht. Warum zum Teufel hast du sie denn nicht direkt gefragt, ob sie freiwillig mit ihm in den Federn war? - Lieber Himmel«, fuhr er angewidert fort, »ich konnte es einfach nicht fassen, als du sie gefragt hast, ob sie in der Lage wäre, die Bettwäsche seines Bettes zu beschreiben, damit wir den Hersteller finden und über ihn die Besitzer des Hauses lokalisieren könnten!«
Richardson wirkte peinlich berührt. »War es derart auffällig?« fragte er, während er die Autotür auf der Beifahrerseite aufmachte und ausstieg. »Ich meine, glaubst du, daß ihre Familie etwas gemerkt hat?«
Ingram stieg ebenfalls aus. »Selbstverständlich haben sie es bemerkt!« Er schnaubte verächtlich. »Und die reizende Mrs. Mathison hat versucht, dich mit ihren selbstgebackenen Plätzchen zu bestechen. Paul, benutze doch einmal deinen Verstand! Julie Mathison ist kein Unschuldsengel; sie hatte als Minderjährige ein gesalzenes Vorstrafenregister ...«
»Von dem wir überhaupt nichts wissen würden, wenn die Akten nach der gesetzlichen Frist ordnungsgemäß vernichtet worden wären«, unterbrach ihn Paul. »Und außerdem - wenn du etwas über Julies Jugendsünden wissen willst, solltest du Dr. Theresa Wilmer in Chicago anrufen, wie ich es getan habe; die würde dir ganz schön was pfeifen. Sie war - und ist - felsenfest davon überzeugt, daß Julie unmöglich etwas Schlimmes getan haben kann. Sei doch mal ehrlich, Dave«, fuhr er fort, als sie zu ihren nebeneinanderliegenden Zimmern gingen. »Hast du jemals in deinem Leben solche Augen gesehen, wie Julie Mathison sie hat?«
»Ja«, sagte er und schnaubte verächtlich durch die Nase, »bei Bambi.«
»Bambi ist ein Reh. Und es hatte braune Augen. Ihre sind blau - wie schimmernde dunkelblaue Kristalle. Meine kleine Schwester hatte früher mal eine Puppe mit solchen Augen.«
»Ich glaube das einfach nicht, daß wir eine solche Unterhaltung führen«, explodierte Ingram, dämpfte aber sofort seine Stimme. »Du solltest dich selber reden hören!«
»Entspann dich«, seufzte Paul und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Wenn du recht hast - wenn sie Benedict wirklich bei seinen ursprünglichen Fluchtplänen geholfen hat oder wenn sich herausstellen sollte, daß sie uns jetzt noch irgendwelche wichtigen Informationen vorenthält -, dann bin ich der erste, der sie sich vorknöpft, und das weißt du auch.«
»Ich weiß«, sagte Ingram, steckte seinen Schlüssel ins Schloß und öffnete seine Tür, während Richardson das gleiche tat. »Aber - Paul?«
Paul lehnte sich zurück, um ihn anzusehen. »Ja?«
»Was würdest du tun, wenn ihr einziges Vergehen darin bestünde, daß sie mit Benedict geschlafen hat?«
»Den Mistkerl auftreiben und ihn eigenhändig dafür erschießen, daß er sie verführt hat.«
»Und wenn sie weder das getan noch überhaupt mit ihm kollaboriert hat, was dann?«
Paul mußte ein wenig lächeln. »In dem Fall sollte ich wohl schnellstmöglich ein Herz suchen, das ihren Vorstellungen entspricht, und es mir einsetzen lassen. Hast du bemerkt, wie sie mich heute abend angeschaut hat, Dave? Fast so, als ob sie mich kennen würde, als ob wir beide uns von irgendwoher kennen würden. Und einander mögen
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