Perfekt
erzählt, daß er versucht hat, mir das Leben zu retten.«
»Ich verstehe allerdings nicht, wieso das die Tatsache ungeschehen machen soll, daß er ein überführter Mörder ist und Sie als Geisel genommen hat.«
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Frust an. »Ich bin davon überzeugt, daß er niemanden getötet hat. Und jetzt möchte ich Ihnen eine Frage stellen, Mr. Richardson.« Teds warnenden Druck gegen ihr Knie ignorierend, sagte sie kampflustig: »Versetzen Sie sich einmal an meine Stelle und stellen Sie sich vor, ich hätte Sie als Geisel genommen, und Ihnen wäre es gelungen, mir zu entkommen. Sie verstecken sich vor mir, aber ich glaube, daß Sie in einen eisigen Bergbach gefallen sind. Von Ihrem Versteck aus sehen Sie, wie ich zu dem Bach hinunterlaufe und in das eisige Wasser stürze. Ich tauche wieder auf, rufe Ihren Namen, und da ich Sie nicht sehen kann, stolpere ich ans Ufer und lasse mich in den Schnee fallen. Ich versuche nicht, zu meinem Snowmobil zurückzugehen und heimzufahren. Statt dessen gebe ich auf. Ich mache mein klitschnasses Hemd auf, damit mich die Kälte schneller umbringt, lege den Kopf zurück, schließe die Augen und bleibe unbeweglich so liegen, lasse mich zuschneien, will erfrieren ...«
Als Julie verstummte, hob Richardson fragend die Augenbrauen. »Und was wollen Sie damit sagen?«
»Was ich damit sagen will, Mr. Richardson«, antwortete sie knapp, »ist folgendes: Könnten Sie sich, nachdem Sie Zeuge von alldem geworden wären, vorstellen, daß ich fähig bin, kaltblütig einen Menschen zu ermorden? Würden Sie versuchen, Informationen aus mir herauszuquetschen, damit man mich niederknallt, bevor ich die Chance habe zu beweisen, daß ich niemanden umgebracht habe?«
»Ist es das, was Benedict vorhat?« bohrte er nach, sich vorbeugend.
»Das ist das, was ich tun würde«, wich sie aus, »und Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Würden Sie - wenn Sie das gesehen haben, allen Ernstes noch glauben, daß ich einen kaltblütigen Mord begehen könnte? Würden Sie, obwohl Sie wissen, daß ich versucht habe, Ihnen das Leben zu retten, und daß ich sterben wollte, trotzdem versuchen, mir Informationen zu entlocken, aufgrund derer ich gefaßt und höchstwahrscheinlich dabei erschossen würde?«
»Ich würde mich dazu verpflichtet fühlen«, konterte Richardson, »dafür zu sorgen, daß ein überführter Mörder, der darüber hinaus auch noch ein Kidnapper ist, seiner gerechten Strafe nicht entgeht.«
Sie blickte ihm einen Moment lang in die Augen und sagte dann ruhig: »In diesem Fall kann ich nur hoffen, daß Sie baldmöglichst ein Spenderherz finden, denn ganz offensichtlich haben Sie kein eigenes im Leib.«
»Ich glaube, das reicht für heute«, intervenierte Agent Ingram, dessen Stimme ebenso freundlich war wie sein Lächeln. »Wir sind alle seit fast vierundzwanzig Stunden unterwegs.«
Sichtlich übermüdet, erhoben sich die Mitglieder der Familie Mathison. »Julie«, sagte Mrs. Mathison, ein Gähnen unterdrückend, »du schläfst hier in deinem alten Zimmer. Und ihr auch, Carl - Ted«, fügte sie hinzu. »Es hat keinen Sinn zu versuchen, die Reporter loszuwerden, und außerdem kann ich mir vorstellen, daß Julie euren Beistand später noch brauchen kann.«
Die FBI-Agenten Ingram und Richardson wohnten in Dallas im gleichen Apartmenthaus; sie arbeiteten nicht nur zusammen, sondern waren auch privat befreundet. Jetzt fuhren sie in Gedanken versunken schweigend zu dem Motel außerhalb der Stadt zurück, in dem sie nun schon seit einer ganzen Woche logierten. Als David Ingram den Sedan vor ihren Zimmern geparkt hatte, machte er zum erstenmal den Mund auf. Er sprach in demselben entwaffnend freundlichen Tonfall, der Julie zu der Annahme verleitet hatte, er glaube alles, was sie erzählt hatte. »Sie verbirgt etwas, Paul.«
Paul Richardson runzelte die Stirn, blickte auf das weiße Schild an seiner Moteltür, von der bereits die Farbe abblätterte, und schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist zu ausgeglichen. Ich glaube nicht, daß sie uns etwas verschweigt.«
»Wenn du das wirklich glaubst«, erwiderte Ingram sarkastisch, »dann solltest du zur Abwechslung mal dein Gehirn arbeiten lassen, anstatt auf das Organ zu hören, das offensichtlich dein Denken bestimmt hat, seit sie dich mit ihren wunderschönen großen blauen Augen angeschaut hat.«
Richardson riß den Kopf herum. »Was zum Teufel willst du damit
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