Perfekt
Häftlingen geraten wurde: Er konnte sich nicht mit seiner Strafe abfinden und die Zeit hier einfach so absitzen. Er hatte gelernt, das Spiel mitzuspielen, und er gab vor, sich »angepaßt« zu haben, doch in Wahrheit war genau das Gegenteil der Fall. In Wahrheit begann jeden Morgen, sobald er die Augen öffnete, ein innerer Kampf, und der hielt so lange an, bis er endlich wieder einschlief. Er mußte hier heraus, bevor er verrückt wurde. Sein Plan stand fest: Jeden Mittwoch nahm Direktor Hadley, der das Gefängnis wie ein kleiner Tyrann führte, an einer Stadtratssitzung in Amarillo teil; Zack war sein Fahrer, Sandini sein Laufbursche. Heute war Mittwoch, und alles, was Zack brauchte, um seine Flucht erfolgreich fortzusetzen, hätte in Amarillo auf ihn gewartet. Doch in letzter Minute hatte Hadley, der diese Woche einen Vortrag halten sollte, Zack mitgeteilt, daß die Sitzung auf Freitag verschoben worden wäre. Zacks Kiefer verkrampfte sich. Wäre nicht diese Verzögerung eingetreten, könnte er bereits jetzt auf freiem Fuß sein. Oder tot. So aber war er gezwungen, bis übermorgen zu warten, und er wußte nicht, wie er die Anspannung bis dahin ertragen sollte.
Er schloß die Augen und ging den Plan noch einmal genau durch. Natürlich hatte er mehr als genug Schwachstellen, doch Dominic Sandini war vertrauenswürdig und konnte ihm hier drinnen helfen. Um alles außerhalb des Gefängnisses - Geld, Beförderungsmittel, eine neue Identität -würde sich Enrico Sandini kümmern. Und der Rest lag ganz alleine bei Zack. Die größten Sorgen bereitete ihm momentan all das, was sich nicht genau Voraussagen oder planen ließ, das Wetter etwa, zufällig errichtete Straßensperren oder Verkehrskontrollen. Selbst bei noch so sorgfältiger Planung blieben noch unzählige Kleinigkeiten offen, die, jede für sich, einen Dominoeffekt auslösen und den ganzen Plan zum Einsturz bringen konnten. Das Risiko war enorm, aber das spielte keine Rolle. Wirklich nicht. Er hatte nämlich nur zwei Alternativen: Entweder er blieb in diesem gottverdammten Loch und ließ zu, daß es ihm den Verstand raubte, oder aber er floh und ging dabei das Risiko ein, auf der Flucht erschossen zu werden. Und seiner Ansicht nach war erschossen zu werden eindeutig besser, als hier drinnen langsam, aber sicher zugrunde zu gehen.
Allerdings: Selbst wenn ihm die Flucht glückte, würden sie doch nie aufhören, nach ihm zu fahnden. Für den Rest seines Lebens - seines voraussichtlich sehr kurzen Lebens -würde er sich nie völlig entspannen können, würde er nie aufhören können, ständig auf der Hut zu sein, ganz gleichgültig in welchem Land er auch lebte. Trotzdem war es das Ganze wert. Alles war besser, als hier zu verrotten.
»Heiliger Strohsack!« Sandinis überschwenglicher Ausruf riß Zack aus seinen Fluchtgedanken. »Gina heiratet!« Er schwenkte den Brief, den er gelesen hatte, durch die Luft, und als Zack lediglich den Kopf wandte und ihn erstaunt ansah, sagte er es nochmals lauter: »Zack, hast du gehört, was ich gesagt habe? Meine Schwester Gina heiratet in zwei Wochen! Sie heiratet Guido Dorelli.«
»Das ist doch eine ausgezeichnete Wahl«, bemerkte Zack trocken, »da er doch derjenige ist, von dem sie ein Kind erwartet.«
»Ja. Aber wie ich dir gesagt habe, wollte Mama nicht, daß sie ihn heiratet.«
»Weil er ein Kredithai ist?« vermutete Zack, nachdem er einen Augenblick lang überlegt hatte, was er über Guido wußte.
»Teufel noch mal, nein. Ich meine, jeder muß irgendwie seinen Lebensunterhalt verdienen, und Mama versteht das auch. Guido verleiht einfach nur Geld an Leute, die es brauchen.«
»Und wenn sie es nicht zurückzahlen können, bricht er ihnen alle Knochen.«
Zack beobachtete, wie Sandini das Gesicht verzog, und bereute seinen Sarkasmus augenblicklich. Obwohl Sandini sechsundzwanzig Autos gestohlen hatte und mit achtundzwanzig Jahren bereits sechzehnmal verhaftet worden war, hatte der schmächtige kleine Italiener irgend etwas rührend Kindliches an sich. Wie Zack war auch er in eine Vertrauensposition aufgerückt, doch er würde in vier Wochen entlassen werden. Sandini war mächtig großschnäuzig und ging keiner Schlägerei aus dem Weg, für Zack jedoch, dessen Filme er liebte, erwies er sich als unglaublich treuer Freund. Er hatte eine riesige, buntgemischte Familie, die an jedem Besuchertag im Gefängnis auftauchte. Als sie feststellten, daß Zack sein Zellengenosse war, verhielten sie sich zunächst sehr
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