Perfekt
ihre Jacken aufhängten.
Das einzige, was sich bei den gemeinsamen Abendessen der Mathisons im Vergleich zu früher wirklich geändert hatte, war, daß Mary Mathison jetzt immer im Speisezimmer deckte. Und daß sie diese Zusammenkünfte jetzt, da ihre drei Kinder erwachsen waren und nicht mehr im Hause wohnten, als etwas ganz Besonderes betrachtete. Die Mahlzeiten selbst hatten sich nicht verändert: Man lachte dabei viel, redete aber auch über Probleme und unterbreitete Lösungsvorschläge. Die Gesprächsthemen waren vielfältig und abwechslungsreich, während Platten mit saftigem Roastbeef, dampfendem Kartoffelbrei und frischen Gemüsen die Runde machten. »Wie gehen die Bauarbeiten am Addleson-Haus voran?« fragte Julies Vater, gleich nachdem sie ein kurzes Dankgebet gesprochen hatten.
»Nicht besonders. Ehrlich gesagt treibt mich das Ganze langsam in den Wahnsinn. Der Installateur hat die Warmwasserleitungen an die Kaltwasserhähne angeschlossen, der Elektriker hat die Außenbeleuchtung mit dem Schalter des Müllschluckers verbunden, das heißt, jedesmal, wenn man den Müllschlucker betätigt, geht das Außenlicht an ...«
Normalerweise zeigte Julie viel Verständnis für die Probleme, die im Baugeschäft ihres Bruders auftauchten, doch diesmal schien ihr die Situation eher amüsant als ärgerlich. »Und wo hat er den Schalter für den Müllschlucker angebracht?« fragte sie belustigt.
»Herman hat ihn mit dem Dunstabzug über dem Herd zusammengelegt. Er hatte wieder mal eine seiner >Launen<. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, daß er so froh darüber ist, wieder Arbeit zu haben, daß er absichtlich Fehler fabriziert, damit er länger zu tun hat.«
»Wenn das so ist, solltest du besser noch mal nachprüfen, ob er nicht auch den Schalter für den Wäschetrockner mit irgend etwas anderem verkabelt hat. Ich meine, es wäre doch wirklich furchtbar, wenn Bürgermeister Addleson einzieht, den Wäschetrockner anstellt und damit die eingebaute Mikrowelle lahmlegt.«
»Das Ganze ist wirklich nicht so lustig, Julie. Der Rechtsanwalt von Bürgermeister Addleson hat darauf bestanden, eine Klausel in den Baukontrakt aufzunehmen, die mich zur Zahlung einer Konventionalstrafe verpflichtet, wenn das Haus nicht bis April bezugsfertig ist. Und wenn nicht ein Wunder geschieht, könnte mich das 150 Dollar pro Tag kosten.«
Julie bemühte sich, ernst zu bleiben, doch konnte sie kaum das Lachen unterdrücken, als sie sich vorstellte, wie Bürgermeister Addleson das Außenlicht anknipste und statt dessen den Müllschlucker zum Leben erweckte. Edward Addleson war nicht nur Bürgermeister, sondern auch Inhaber der örtlichen Bank, ihm gehörte neben dem Ford Neu- und Gebrauchtwagenzentrum auch das Haushaltswarengeschäft und ein Großteil des Landes westlich von Keaton. Herman Henkleman war ein stadtbekanntes Faktotum. Er war Elektriker von Beruf, Junggeselle und ein erblich vorbelasteter Exzentriker. Wie sein Vater lebte Herman allein in einer winzigen Hütte am Stadtrand, arbeitete nur, wenn er Lust hatte, sang, wenn er betrunken war, und wußte in nüchternem Zustand so viel über die amerikanische Geschichte zu sagen, daß ihn mancher Universitätsprofessor um seinen Wortschatz und sein Wissen beneidet hätte.
»Ich glaube nicht, daß du dir wegen einer Konventionalstrafe Sorgen machen solltest«, sagte Julie vergnügt. »Herman könnte man wirklich als eine Art Wunder bezeichnen. Er ist wie ein Hurrikan und Erdbeben zugleich - unvorhersehbar, unkontrollierbar. Das weiß doch jeder.«
Da endlich lachte auch Carl, ein tiefes, kehliges Lachen. »Du hast recht«, sagte er. »Sollte Bürgermeister Addleson mich tatsächlich verklagen, wird mich jedes Keatoner Geschworenengericht freisprechen.«
Das kurze Schweigen, das folgte, war erfüllt von gegenseitiger unausgesprochener Übereinstimmung; dann seufzte Carl und sagte: »Ich weiß beim besten Willen nicht, was in ihn gefahren ist. Wenn Herman nicht gerade eine seiner >Launen< hat, ist er der beste Elektriker, den ich kenne. Ich wollte ihm eine Chance geben, weil ich geglaubt habe, daß er mit etwas Geld in der Tasche wieder richtig auf die Füße kommt.«
»Bürgermeister Addleson wird dich nicht vor Gericht bringen, wenn sein Haus erst ein paar Tage später fertig wird«, warf Reverend Mathison lächelnd ein, während er sich eine zweite Portion Roastbeef nahm. »Er ist ein wirklich fairer Mann. Und er weiß, daß du der beste Bauunternehmer der ganzen Region bist und
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