Perfekt
von ihrer Erinnerung, der Erinnerung an grandiose Berichte über ihn in diversen Zeitschriften, der Erinnerung an zahllose Stunden, die sie mit ihren Brüdern und später mit Freunden im Kino verbracht hatte, der Erinnerung an eine Zeit, als sie ihn angehimmelt und sogar von ihm geträumt hatte. Im Alter von elf Jahren hatte sie nicht verstanden, was ihre Brüder und all ihre Freunde so Besonderes an Zack Benedict fanden, doch wenige Jahre später war auch sie seinem Charme erlegen und seiner Ausstrahlung verfallen. Er war auf eine markante Art gutaussehend, unerreichbar, erotisch und zynisch, geistreich und dabei knallhart.
Und da Julie seinerzeit während des aufsehenerregenden Prozesses aufgrund eines Stipendiums in Europa gewesen war, hatte sie keine Ahnung von den blutigen Details, gab es nichts Konkretes, was sie all jenen wunderschönen Bildern entgegensetzen konnte, die sie auf der Leinwand bewundert hatte. Die schmähliche Wahrheit war, daß sie tatsächlich die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, er sei unschuldig und nur aus der Haft geflohen, um seine Unschuld zu beweisen. Aus irgendeinem unverständlichen Grund klammerte sich ein winziger Teil von ihr noch immer an diese Möglichkeit, vielleicht deshalb, weil es ihr half, ihre panische Angst wenigstens halbwegs im Griff zu behalten. Ihr verzweifeltes Bemühen, so schnell wie möglich von ihm wegzukommen, beeinflußte dieser Gedanke jedoch nicht. Selbst wenn er das Verbrechen, für das er verurteilt worden war, nicht begangen hatte, hieß es noch lange nicht, daß er nicht bereit wäre zu töten, um nicht wieder hinter Gitter zurückgeschickt zu werden. Und das galt auch nur für den Fall, daß er tatsächlich unschuldig war - was ja keineswegs zu stimmen brauchte, sondern eher - sehr viel eher - unwahrscheinlich erschien.
Beim Rascheln der Tüte fuhr sie zu Tode erschrocken zusammen. »Da«, knurrte er und hielt ihr eine Cola hin.
Den Blick starr nach vom durch die Windschutzscheibe gerichtet, streckte Julie die Hand aus und nahm den Becher. Ihr war jetzt klar, daß ihre einzige Hoffnung auf eine erfolgreiche, das heißt unblutige Flucht darin bestand, ihn vor die Alternative zu stellen, entweder allein mit dem Auto wegzufahren und sie zurückzulassen, oder sie dadurch von der Flucht abzuhalten, daß er einen Haufen Menschen niederschoß und ein Blutbad anrichtete. Das bedeutete, daß sie außerhalb des Autos und im Blickfeld möglichst vieler Leute sein mußte. Ihre erste Chance hatte sie vermasselt. Er wußte jetzt, daß sie entschlossen genug war, es ein zweites Mal zu versuchen. Und würde von jetzt an nur darauf warten. Er würde aufpassen. Wenn sie es wieder versuchte, mußte alles genau stimmen. Instinktiv ahnte sie, daß die Chancen, eine dritte Gelegenheit geboten zu bekommen, gleich Null waren. Aber wenigstens hatte diese ekelerregende Charade jetzt ein Ende. Sie mußte nicht länger so tun, als sei sie auf seiner Seite.
»Fahren wir«, befahl er.
Wortlos ließ Julie den Motor an und verließ den Parkplatz.
Eine Viertelstunde später befahl er ihr, neben einer Telefonzelle am Straßenrand zu halten, und telefonierte erneut. Er hatte kein einziges Wort gesprochen, und Julie vermutete, daß er ahnte, daß dieses Schweigen ihre Nerven viel mehr strapazierte als alles andere, was er ihr möglicherweise antun konnte. Während er dieses Mal telefonierte, ließ er sie nicht eine Sekunde lang aus den Augen, und als er wieder ins Auto stieg, konnte Julie seine ausdruckslose Miene und sein Schweigen plötzlich nicht länger ertragen. Sie blickte ihn hochmütig an, deutete mit dem Kopf auf die Telefonzelle und fragte: »Schlechte Neuigkeiten, hoffe ich?«
Zack mußte sich anstrengen, um nicht über ihre hartnäckige Widerspenstigkeit zu lächeln. Ihr hübsches Gesicht strafte die störrische Courage und den scharfen Verstand, der ihn immer wieder herausforderte, Lügen. Anstatt zu antworten, daß die Neuigkeiten ganz im Gegenteil sehr gut wären, zuckte er bloß mit den Schultern. Schweigen ging ihr an die Nerven, das hatte er bemerkt. »Fahren Sie«, sagte er, lehnte sich in seinem Sitz zurück, streckte bequem die Beine nach vorn und beobachtete ihre schönen Hände am Lenkrad.
In ein paar Stunden würde ein Mann, der Zack sehr ähnlich sah, von Detroit durch den Windsor Tunnel nach Kanada fahren. An der Grenze würde er soviel Wind machen, daß die Zollbeamten auf ihn aufmerksam würden und die US-amerikanischen Behörden darüber
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