Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Performer, Styler, Egoisten

Performer, Styler, Egoisten

Titel: Performer, Styler, Egoisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Heinzelmaier
Vom Netzwerk:
also, dass vor allem das Geschlecht und das Alter Einfluss auf das Stress- und Druckempfinden der Jungen haben (vgl. tfactory 2007).
     
    Stress- und Druckgefühle stehen allerdings keineswegs ausschließlich in Verbindung mit dem „Ernst des Lebens“ oder dem „Reich der Notwendigkeit“, also mit Arbeit und Ausbildung. Auch das „Reich der Freiheit“, die Freizeit, wird mit Stresserlebnissen in Verbindung gebracht. Und die besonders vom Stress betroffenen Gruppen sind dieselben, die auch in den Lebensbereichen Arbeit, Bildung und Schule die höchste Stressbelastung aufweisen: weibliche Jugendliche und unter zwanzigjährige Jugendliche. Der Anteil der in der Freizeit stark stressbelasteten Jugendlichen nimmt auch hier mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab: Liegt er bei den 11-14-Jährigen noch fast bei 60 Prozent, so sinkt er in den höheren Altersgruppen kontinuierlich ab, um sich am Ende bei den 25-29-Jährigen auf einem Niveau von rund 30 Prozent einzupendeln.
     
    Woran liegt es nun, dass gerade die unter Zwanzigjährigen selbst die Freizeit, also jene Zeit, die ihnen zur Regeneration und zum Sammeln neuer Energien dienen sollte, zusätzlich zu stressen scheint? Betrachten wir zuerst jene Gruppe, in der der Anteil der Gestressten am größten ist: die 11-14-Jährigen. Ein wichtiger Faktor für das massenhafte Entstehen von Stress sind hier vor allem die von den Eltern aus den Mittelschichten unternommenen Versuche, etwas, was die Schulen immer weniger leisten, nämlich die allgemeine Persönlichkeitsbildung, in die Freizeit zu verlagern. Während in den Schulen mehr und mehr auf für die spätere Berufsausbildung funktionales Wissen fokussiert wird, wird die Freizeit zusehends für die Vermittlung von so genannten Softskills, allgemeinen Kulturtechniken und Persönlichkeitsbildung, vernutzt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Eltern die Kinder nach der Schule vom Ballettunterricht zum Zeichenkurs und vom Klavierunterricht zum Basketball-Training transportieren müssen, um das Bildungsdefizit der Kinder, das durch die Umwandlung der Schulen von Bildungs- in Ausbildungseinrichtungen entstanden ist, auszugleichen. In der frühen Jugendphase (11 bis 14 Jahre) erscheint der jugendliche Alltag ähnlich dem der Kindheit funktional verinselt. In der Sozialisationsforschung steht der Begriff der Verinselung für die Zerstückelung der kindlichen und frühjugendlichen Lebenswelt in kleine, oft unvermittelt nebeneinander stehende Einheiten und die fast lückenlose Integration von Kindern und Jugendlichen in pädagogische Einrichtungen (vgl. Hurrelmann 2002). Was ihnen dadurch verloren geht, sind Freiräume, in denen sie sich ungestört bewegen können und in denen sie die Chance haben, sich unabhängig von pädagogischer Anleitung mit ihren persönlichen Fähigkeiten und Interessen auseinander zu setzen. „In einer durchreglementierten Lebenswelt mit strenger Zeitstrukturierung sind die Möglichkeiten hierfür begrenzt.“ (Ebd.: 252) Die Kinder und Jugendlichen werden von einer betreuten Insel zur anderen bewegt. Lerngruppen, Sportverein, Tanzkurs, Reitstunden, Theatergruppen etc. werden ihnen von den Eltern mit den besten Absichten verordnet, führen aber am Ende oft zu einem vollständig durchstrukturierten und funktional kolonialisierten frühjugendlichen Freizeitalltag, in dem keine Freiräume für autonome oder selbstsozialisatorische kulturelle Praxen mehr offen bleiben.
    Nicht der einzelne Kurs, aber die Verdichtung der betreuten Kursangebote, die weitgehende Durchreglementierung und Durchstrukturierung des gesamten Lebens der Jugendlichen auch außerhalb der Schule, erzeugen hier das Gefühl von Stress und Druck.
    Auf eine völlig andere mögliche Problematik, die ein Auslöser für Freizeitstress sein könnte, verweist der französische Psychiater Alain Ehrenberg in seinem Buch „Das erschöpfte Selbst“. Für Ehrenberg ist das große Problem des Menschen unserer Zeit die Last des Möglichen. Seiner Meinung nach leidet der postmoderne Mensch nicht primär an bedrückenden Normen und beengenden Regulativen, sondern an den ständig weit geöffneten Räumen des Möglichen, die er gestalten muss, ohne über ausreichende Führung, Vorgaben oder Vorlagen zu verfügen. Die Menschen stehen unter dem permanenten Druck, aus eigener Verantwortung heraus Initiativen setzen zu müssen, gestalten zu müssen, aus sich selbst etwas machen zu müssen (vgl. Ehrenberg 2008).
    Gerade Jugendliche, die aufgrund ihrer

Weitere Kostenlose Bücher