Performer, Styler, Egoisten
Öko-Industrie wandelt sich auch die Freizeitindustrie mehr und mehr zu einem Wirtschaftszweig, in dem mit der Behebung von Schäden Profit gemacht wird, die unmittelbare Folgen des marktwirtschaftlichen Konkurrenz- und Leistungssystems sind. Nachdem in Bildungseinrichtungen und in der Arbeitswelt die Menschen in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtig werden, werden sie im Anschluss daran von der Wellness-, Therapie- und Pharma-Industrie in Empfang genommen, um wieder auf Vordermann gebracht zu werden. So gelingt es dem marktgesellschaftlichen System sogar, mit Hilfe seiner Destruktivkräfte Profit zu machen.
Die Kolonialisierung der Zivilgesellschaft und der lebensweltnahen Non-Profit-Strukturen, und damit auch weiter Teile der Freizeit der Menschen, durch die Ökonomie wird weitergehen, ganz in dem Sinne, wie Heitmeyer diesen Prozess mit dem Begriff der „Ökonomisierung des Sozialen“ (vgl. Heitmeyer 2007) zu fassen versucht. Nur wird es nicht bei der Infizierung und Modifizierung der Kultur der sozialstaatlichen Institutionen durch Werte der Ökonomie wie Nützlichkeit, Verwertbarkeit etc. bleiben Die Tendenz geht in die Richtung, dass Non-Profit-Strukturen durch Profit-Strukturen ersetzt werden.
Ein Beleg dafür ist, dass sich im Bereich der Markenkommunikation und Markenführung so etwas wie eine „kommerzielle Diakonie“ herauszubilden beginnt. Kommerzielle Diakonie bedeutet, dass Marken durch die Verwendung einer „spezifischen Semantik der Seelsorge“ suggerieren, dass sie nicht nur postmoderne Sinnquelle sind, sondern sich nun darüber hinausgehend auch als aktive Dienstleister der Seelsorge und der gemeinschaftlichen Betreuung zu positionieren beginnen (vgl. Hellmann 2011: 137f.). Ein Beispiel für eine solche Markeninszenierung ist die Marke „Weleda“. Weleda inszeniert sich als anthroposophisch geprägtes Unternehmen, „das zahlreiche naturnahe, tierversuchsfreie Produkte für Körperpflege und Selbstmedikation anbietet und seine Selbstdarstellung mit einer gehörigen Portion Spiritualität unterlegt“ (vgl. ebd.: 139).
In unmittelbarer Konkurrenz zu traditionellen Formen der Jugendarbeit werden in Zukunft verstärkt die so genannten „brand communitys“ treten. Diese stellen mehr oder weniger aufwändig gepflegte Beziehungsnetzwerke zwischen Intensivverwendern spezifischer Markenprodukte dar (vgl. ebd.: 159). Insbesondere Marken, die wichtige Player auf den Jugendmärkten sind, arbeiten bereits jetzt mit solchen Community-Konzepten und investieren viel Geld in sie. Um nur einige zu nennen: Apple, Red Bull, Vesper, Saturn.
Eine „brand community“ hat den Zweck, besonders treue Kunden mit einer starken emotionalen Bindung an die Marke in ein Netzwerk einzuschließen. Zusammengehalten wird die Community durch die kollektive Identität der Markenuser, spezifische Rituale und Traditionen sowie durch eine spezielle Form gelebter Gruppensolidarität. Die Gruppensolidarität zeigt sich praktisch vor allem dann, wenn es um das „assisting in the use of the brand“ geht, d. h. wenn sich die Mitglieder bei der Verwendung der Produkte einer bestimmten Marke gegenseitig unterstützen, bei Betriebsproblemen, Pannen und anderen Schwierigkeiten, bei denen das Verfügen über spezifisches Fachwissen notwendig ist (vgl. ebd.). Nicht unwichtig dabei ist, dass sich die Kunden der Marken in ihren Community-Netzwerken unentgeltlich gegenseitig helfen, d. h. dass Teile des Kundenservice von den Marken an die User ausgelagert werden. Von den dadurch sinkenden Support-Kosten profitiert die Marke.
Walter Benjamin hat einmal den Kapitalismus mit einer Religion verglichen. Er formulierte: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d. h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.“ (zitiert nach ebd.: 141) Ganz offensichtlich zeigen sich diese Parallelen zwischen Religion und Kapitalismus exemplarisch am Phänomen der „brand communitys“. Sie sind als Formen einer postmodernen kommerziellen Diakonie erfolgreich, indem sie über Netzwerkstrukturen Hilfsdienste vermitteln, die früher einmal von religiösen Gemeinschaften gegenüber der Gesellschaft erbracht wurden: soziale Dienste, Seelsorge und das Organisieren von Gemeinschaft. Wohl ein durchaus bemerkenswerter Beweis für das Marxsche Wort von der Gier des Marktes, die nicht einmal vor dem Heiligsten zurückschreckt, wenn es um den
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