Performer, Styler, Egoisten
Stellung im Entwicklungsverlauf im hohen Maße damit beschäftigt sind, sich selbst und ihren Platz in einer komplexen soziokulturellen Welt zu finden, fühlen sich von den überall rund um sie herum offenen Möglichkeitsräumen besonders überfordert. Vielfach ohne auf ein Vorbild zurückgreifen zu können und mit nur wenig Unterstützung von Erwachsenen müssen sie sich eine eigene Identität, ein individuelles und unverwechselbares Persönlichkeitsprofil erarbeiten. Die Zahl der Jugendlichen, die damit nicht mehr zurechtkommen, wird immer größer. Wenn man nicht das aus sich selbst machen kann, von dem man glaubt, dass es gesellschaftlich erwünscht ist, wenn man die offenen Räume nicht mit Ideen und Projekten füllen kann, wie es die Gesellschaft von einem selbständigen, autonom entscheidenden und handelnden Individuum erwartet, kann Verzweiflung und Depression die Folge sein.
Viele Jugendliche fühlen sich aufgrund der tagtäglichen Überforderung durch beständig offene Möglichkeitsräume wie gelähmt. Sie hören auf zu handeln, weil sie die Last, immer eigenverantwortlich und initiativ sein zu müssen, nicht mehr (er-)tragen können. Ehrenbergs allgemeine Gesellschaftsdiagnose der sich ausbreitenden Depression passt zur besonderen Situation einer durch den Zwang zur Selbstverwirklichung und zur Individualisierung überforderten Jugend in der postmodernen Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft. „Die Depression (…) ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren Verhaltensnormen nicht mehr auf Schuld und Disziplin, sondern auf Verantwortung und Initiative gründen. Gestern verlangten die sozialen Regeln Konformismus im Denken, wenn nicht Automatismus im Verhalten; heute fordern sie Initiative und mentale Fähigkeiten. Die Depression ist eher eine Krankheit der Unzulänglichkeit als ein schuldhaftes Fehlverhalten, sie gehört mehr ins Reich der Dysfunktion als in das des Gesetzes: Der Depressive ist ein Mensch mit einem Defekt.“ (Ebd.: 20)
Folgen wir Ehrenberg, so ist einer der wichtigsten Gründe, dass sich die postmoderne Jugend gestresst und unter Druck bis hin zur depressiven Handlungsunfähigkeit fühlt, der Umstand, dass ihr alles möglich ist, dieses Mögliche aber nur durch selbstverantwortliche Eigeninitiative erschlossen werden kann. Somit liegt die Quelle von Freizeitstress letztendlich auch darin begründet, dass Jugendliche für sich eine passende jugendkulturelle Rolle finden müssen, sich deren Ästhetik und Denk- und Handlungsmuster anzueignen haben, um so die Inklusion in eine jugendkulturelle Community zu erreichen. Hinzu kommt, dass dieser Prozess niemals abschließbar ist, da es viele solche Communities gibt und die Aufgabenstellung darin besteht, mehreren dieser Communities zur gleichen Zeit anzugehören, möglichst flexibel von einer zur anderen „switchen“ zu können, immer die passende Charaktermaske aufgesetzt und ohne Aussicht, jemals ein alles abschließendes Ziel zu erreichen. Das heißt, die Krise der postmodernen Jugend gründet auch in der Überforderung durch Eigenverantwortung und im nicht enden wollenden Selbstverwirklichungs- und Selbsterschaffungszwang des postmodernen Individualismus.
Juvenilisierung der Freizeitkultur
In der Gegenwartsgesellschaft hat Jugendlichkeit einen hohen Statuswert. „Wer heute als Erwachsener noch ‚in‘ sein und damit den Idealen von Jugendlichkeit gerecht werden will, muss jenseits milieuspezifischer Traditionalismen zunächst einmal durch sportliche Eleganz, ‚body image‘, Harmonie und Dynamik, verbunden mit einem Höchstmaß an jugendlichem Habitus zu glänzen versuchen. Schlank, schön und sportlich scheint immer mehr mit Können, Leistungsstärke, Scharfsinn, Flexibilität, Geschicklichkeit und Beweglichkeit gleichgesetzt zu werden. Erfolg im 21. Jahrhundert wird wesentlich über diese Attribute definiert.“ (Ferchhoff 2007: 261f) Damit ist Jugendlichkeit nicht mehr allein für die unter Dreißigjährigen eine notwendige Eigenschaft. Weit über diese Altersgruppe hinaus ist das Attribut „Jungsein“ für nahezu alle Gesellschaftsmitglieder zu einem unverzichtbaren Bestandteil eines erfolgreichen und sinnvollen Lebens geworden. Der Notwendigkeit des Willens zum Jungsein kann sich fast keiner mehr entziehen.
Jugendlichkeit ist zugleich eine Frage der Einstellung und des kulturellen Ausdrucks, d. h., wir sprechen über eine „verinnerlichte Jugendlichkeit und Identitätsstabilisierung, welcher über das Äußere Ausdruck
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