Performer, Styler, Egoisten
Kontextes ist gering, die Engagementbereitschaft für politische Parteien genauso. Wenn sich Jugendliche politisch einmischen, dann punktuell und in erster Linie, um auf Missstände hinzuweisen, die sie persönlich betreffen (z. B. die Aktion Uni brennt an der Universität Wien 2009/2010) oder in der aussichtslosen Position von idealistischen, hochmoralischen Weltverbesserern (siehe die Occupy-Bewegung), die im schlimmsten Fall dann, wenn sie wirklich etwas erreichen (z. B. Arabischer Frühling), von den alten Eliten im neuen Gewand oder neuen Eliten mit alten absoluten Herrschaftsansprüchen wieder zur Seite geschoben werden. Die rebellische Energie der Jugend wird von den Machteliten immer häufiger dazu missbraucht, Entwicklungen anzustoßen, die sie dann auf halbem Wege abstoppen oder in eine andere, meist wirtschaftskompatibel-reformistische Richtung kanalisieren.
Generell zeigt sich bei der Jugend ein neues Verhältnis in der Mischung von Pflicht- und Akzeptanz-Werten und Selbstverwirklichungswerten. Die Koexistenz der gegensätzlichen Wertebündel ist aber in der Regel nicht harmonisch, vielmehr spielen sich im Inneren der Jugendlichen permanente Kämpfe darüber ab, ob nun gesellschaftliche Notwendigkeiten oder persönliche Bedürfnisse in eine prioritäre Position kommen dürfen. Wie in der Gesellschaft so stehen sich auch im Inneren des Menschen die Werte mit dem absoluten Anspruch auf ihre Durchsetzung gegenüber. Entgegengesetzte Werte geben niemals Ruhe. Sie müssen permanent bearbeitet und kontrolliert werden.
Postmaterialismus oder Wertesynthese?
Die große Wende in den Werthaltungen der jungen MitteleuropäerInnen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch die ’68er Bewegung symbolisiert. Sie war Ausdruck dafür, dass die so genannten „postmaterialistischen Werte“ an Einfluss gewonnen hatten. Der Amerikaner Ronald Inglehart, auf den der Begriff „Postmaterialismus“ zurückgeht, sieht vor allem die Jugend als Träger dieses Wertewandels, der im Kern aus einer Hinwendung zu den ethischen Grundsätzen einer nicht-instrumentellen Lebensführung besteht. Ästhetische Kreativität, individuelle Selbstverwirklichung, Schutz der Natur etc. treten an die Stelle von materialistischen Idealen wie Karriere, Reichtum, demonstrative Statusinszenierungen und überspitzte Sicherheitsbedürfnisse (vgl. Inglehart 1989: 90f.). Den jungen Menschen des postmaterialistischen Zeitalters der 1960er und 1970er Jahre geht es vorrangig um ein freies, selbstbestimmtes Leben, das weniger stark vom Einfluss tradierter Konventionen abhängt, und um eine authentische, nicht entfremdete, nicht primär an egoistischen Zwecken ausgerichtete Lebensführung.
Schon in den 1980er Jahren tritt der deutsche Soziologe Helmut Klages der Postmaterialismustheorie von Ronald Inglehart entgegen. Klages bestreitet nicht, dass postmaterialistische Selbstentfaltungswerte dabei sind, an Bedeutung zu gewinnen. Er glaubt nur nicht wie Inglehart, dass diese die materialistisch geprägten Pflicht- und Akzeptanzwerte radikal verdrängen würden. Vielmehr weist er aufgrund empirischer Untersuchungen auf die gleichzeitige Existenz von Selbstentfaltungswerten und Pflicht- und Akzeptanzwerten in einer mittelstarken Ausprägung hin. „Es kann heute zusammenfassend festgestellt werden, dass die Pflicht- und Akzeptanzwerte (…) keineswegs zerstört, ausgelöscht oder in die Bedeutungslosigkeit verdrängt wurden. Vielmehr ergaben sich Einbußen, die dazu führten, dass diese Werte, die vorher überwiegend hohe Ausprägungen besessen hatten, durchschnittlich gesehen auf mittlere Ausprägungsgrade reduziert wurden. Umgekehrt wurden die Selbstentfaltungswerte, die vorher überwiegend niedrige Ausprägungen gehabt hatten, im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung in mittlere Ausprägungslagen emporgehoben.“ (Klages 1988: 58)
Für Klages besteht die zentrale Problematik, deren Lösung für die Zukunft unseres Gemeinwesens entscheidend sein wird, darin, ob es einer Mehrheit der Menschen gelingen wird, zwischen Pflicht- und Akzeptanzwerten einerseits und Selbstentfaltungswerten andererseits eine Synthese herzustellen. Die Herausforderung für das Individuum besteht darin, einen Ausgleich zwischen Realitäts- und Lustprinzip zu finden (ebd.: 147). Zur Herstellung der Wertesynthese sind wertepolitische Rahmenbedingungen notwendig, die den Menschen gemeinschaftliche und gesellschaftliche Verantwortungsrollen anbieten und sie dazu motivieren, diese Rollen auch
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