Performer, Styler, Egoisten
als die richtige Form der mentalen Persönlichkeit vorgesehen ist (vgl. Illoutz 2006: 124). Insgesamt ist eine psychologisierende Herangehensweise an das Leben zu beobachten und zeigt sich auch daran, dass die Mehrheit der Jugend Gesundheit in erster Linie mit psychischer oder seelischer Gesundheit in Verbindung bringt (Institut für Jugendkulturforschung 2009a). Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren Fragen der psychischen Gesundheit für Jugendliche noch mehr als bisher an Bedeutung gewinnen werden. In diesem Zusammenhang zu sehen ist, dass das reflexive, im „Therapiejargon“ geführte Gespräch über alltägliche Krisen und Probleme weite Teile der Konversation in den Jugendkulturen prägt. Hinter der stilisierten „coolen“ Oberfläche der Jugendkulturen scheinen sich massenhaft verunsicherte, reflexionsbedürftige Identitäten ausgebildet zu haben, die sich des modischen „therapeutischen Diskurses“ bedienen müssen, um mit dem eigenen „erschöpften Selbst“ (vgl. Ehrenberg 2008) und den Anforderungen einer neokonservativen Leistungsgesellschaft oder alternativ dazu einer postmodernen Erfolgsgesellschaft einigermaßen zurechtzukommen.
Die Werte der Jugend in Zeiten der moralischen Krise
Wie ein egozentrischer Individualismus Gemeinschaftswerte unterminiert
Der Begriff des Wertes ist historisch betrachtet ein relativ junges Phänomen. Sein Aufstieg steht im engen Zusammenhang mit der Entstehung des kapitalistischen Wirtschaftssystems in Europa. Mit dem beginnenden 19. Jahrhundert breitet sich ein ökonomisches Nützlichkeitsdenken aus, dessen zentrale Tugend die Kaufmannstugend ist, die gewinnbringende Produktion und Distribution von Waren und Dienstleistungen. Von nun an wird jede menschliche Handlung mit Blick auf ihre ökonomische Nützlichkeit abgeklopft: Das Wertmaß allen Handelns und Tuns ist nun der Tauschwert, der Preis, den eine Ware am Markt zu erzielen in der Lage ist.
Obwohl der überwiegende Teil des Bürgertums von dem neuen Wirtschaftssystem profitierte, war einigen die totale Ökonomisierung des Lebens unheimlich. Sie versuchten ein Gegengewicht gegen die Allmacht des nationalökonomischen und betriebswirtschaftlichen Denkens dadurch zu etablieren, indem sie die ökonomischen Werte, die als Gebrauchswerte, Tauschwerte, Sachwerte, Handelswerte etc. auftraten, in dauerhaft gültige moralische Kategorien umdeuteten. Karl Marx spottete darüber, dass so versucht werde, ein inhumanes System der Verwertung und Mehrwertbildung hinter einer feierlich verzierten Fassade ideeller Werte zu verbergen (vgl. Straub 2010).
Bis heute kann die gesamte Wertediskussion ihre enge Verbindung mit dem Marktkapitalismus nicht verleugnen, ist sie doch von einem der wichtigsten Prinzipien des Marktes bestimmt, der permanenten Konkurrenz. Neben jedem Wert steht ein Gegenwert und zu jedem Wertesetzer tritt ein Gegner und Widersacher. Werte sind kämpferische Begriffe, die für spezifische Interessen stehen und auf den Märkten der religiösen, politischen, wirtschaftlichen Ideologien gehandelt werden. Wer einen Wert postuliert, versucht gleichzeitig, einen konkurrierenden Wert zu entwerten, die Wertlosigkeit der Werte des Rivalen herauszustellen. Ohne den unbedingten Kampf um ihre alleinige Gültigkeit sind Werte nicht denkbar, obwohl sie ihrem Wesen nach völlig beliebige ideologische Entwürfe sind. „Denn alles, was einem Einzelnen liebenswert oder wünschenswert vorkommt, kann zu einem Wert erhoben werden, sofern es genug andere gibt, die seine Erwartungen teilen. Außerdem schließt jede Behauptung eines Wertes unvermeidlich – wie auf dem Markt – die Negation anderer Werte als minderwertig oder wertlos ein. Werte sind deshalb kämpferische Begriffe, weil deren Vertreter im Pluralismus der Meinungen und Möglichkeiten Nachteile für sich fürchten, sofern es ihnen nicht gelingt, die Ansprüche anderer Werteverfechter abzuwehren.“ (Ebd.: 14)
Das Werte nicht unschuldige Heilsbringer, sondern tyrannische Herrschaftsinstrumente sind, darauf hat Nicolai Hartmann bereits 1926 hingewiesen. Aus seiner Sicht hat jeder Wert die Tendenz, „sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen, und zwar auf Kosten anderer Werte, auch solcher, die ihm nicht diametral entgegengesetzt sind“ (Hartmann nach Schmitt 2011: 48). Anknüpfend an Nicolai Hartmann hebt Carl Schmitt die Geltungssucht, die die Wertediskussionen beherrscht, hervor: „Wer Wert sagt, will geltend machen
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