Performer, Styler, Egoisten
Gültigkeit und sie existieren nicht, wie zum Beispiel in der materialistischen Wertetheorie von Max Scheler, ohne Zutun der Menschen als Absolutum, das von außerweltlichen, metaphysischen Instanzen ausgeht. Normen entstehen nach Habermas im Diskurs durch die Zustimmung der von ihnen betroffenen Personen und sind im Zuge eines diskursiven Verfahrens auch wieder veränderbar. Habermas nennt deshalb seine Werteethik auch Diskursethik (vgl. Horster 2009: 108ff.).
In welchem Verhältnis stehen Werte nun zum Handeln der Menschen? Welche handlungstheoretische Bedeutung haben sie? Sind sie, wie Klages meint, tatsächlich „handlungsleitende Führungsgrößen“ (zitiert nach Tamke 2008: 193) oder sind es ganz andere Instanzen, die das menschliche Handeln motivieren? Als zu den Werten alternative Handlungsmotive in der wissenschaftlichen Literatur stehen vor allem Triebe, Zwänge und rationale Nutzenüberlegungen zur Disposition (vgl. ebd.).
Rationale Nutzenüberlegungen werden vor allem von der philosophischen Schule des Utilitarismus als zentrale Handlungsmotive in Stellung gebracht. Im Gegensatz zum Normativismus, der ein wertegesteuertes menschliches Sein postuliert, gehen die Utilitaristen davon aus, dass das menschliche Handeln durch persönliche Nutzenüberlegungen, Interessen und Präferenzen bestimmt ist (vgl. Horster 2009: 40ff).
Auf einen Widerspruch zwischen Wertediskurs und der Handlungspraxis der Menschen weist Michael Stocker mit seiner These von der „Schizophrenie der modernen Ethik“ hin. Stocker meint zu sehen, dass in der Handlungspraxis des postmodernen Menschen Handlungsgründe und Handlungsmotive (Werte) auseinanderzufallen beginnen respektive dieses Auseinanderfallen schon in den modernen ethischen Theorien angelegt ist (vgl. Stocker 1998: 26).
Viel radikaler bringt die Unvermitteltheit von Wertediskurs und Handlungspraxis Niklas Luhmann zum Ausdruck, indem er nicht ohne Ironie feststellt, dass Werte wie Luftballons sind, die das Jahr über irgendwo aufbewahrt werden, um sie dann zu hohen Feiertagen steigen zu lassen. „Werte sind also nichts anderes als eine hochmobile Gesichtspunktmenge. Sie gleichen nicht, wie einst die Ideen, den Fixsternen, sondern eher Ballons, deren Hüllen man aufbewahrt, um sie bei Gelegenheit aufzublasen, besonders bei Festlichkeiten.“ (Luhmann 1998: 342) Sowohl Stocker als auch Luhmann weisen zumindest implizit darauf hin, dass Werte auf der deklamatorisch-diskursiven Ebene stecken bleiben können und damit ohne orientierende Wirkungen auf das menschliche Handeln bleiben. Werte wären dann nichts anderes als eine moralische Aufhübschung für utilitaristisch handelnde hedonistische Egoisten, die in ihrer eigenen Lust die einzige Rechtfertigung für ihr Handeln sehen (vgl. Stocker: 23ff).
Wertewandel und Werteverschiebung
Die Wertediskussion der letzten Jahrzehnte istvom Begriff des Wertewandels geprägt. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sich hinter dem Begriff des Wertewandels nicht eine fundamentale Verschiebung innerhalb des Wertetableaus verbirgt. Für Ottfried Höffe hat eine Theorie der Tugend (die Begriffe Wert und Tugend werden in der Literatur häufig als Synonyme verwendet) bei der Unterscheidung zwischen instrumentellen/funktionalen und moralischen Tugenden oder Werten anzusetzen (Höffe 1998: 46ff.). Instrumentelle Tugenden bezeichnet Höffe als sekundäre Tugenden im Gegensatz zu moralischen oder primären Tugenden. Als primäre Tugenden gelten Hilfsbereitschaft, Toleranz, Gerechtigkeit oder Tapferkeit. Unter sekundären Tugenden werden Pünktlichkeit, Fleiß, Ordnungsliebe, Sparsamkeit etc. verstanden (vgl. ebd.). Für Höffe stehen die sekundären Tugenden im Kontext des von Max Weber konstatierten Geistes des Kapitalismus, der Diskurse und Handlungsweisen privilegiert, die sich entlang der ökonomischen Logik des kapitalistischen Systems bewegen. Aufgrund ihres rein funktionalen Charakters können die Sekundärtugenden als reines Mittel zum Zweck außerhalb des Rahmens einer moralischen Ordnung angewendet werden. Sie können als Handlungsgrundlage genommen werden, ohne dass sie sich an einem moralischen Prinzip, wie zum Beispiel dem der Gerechtigkeit, messen lassen müssen. Zudem besteht bei sekundären Tugenden die Gefahr, dass sie kritischen Diskursen entzogen werden, indem sie quasi als naturgegebene, überzeitlich wirksame Sinn- und Regelhaftigkeiten dargestellt werden. „Es droht – so ein zweites Element einer Theorie der Tugend –
Weitere Kostenlose Bücher