Performer, Styler, Egoisten
jene Verschiebungsgefahr, die statt der Primärtugenden die Sekundärtugenden in den Vordergrund rückt.“ (Ebd.: 47)
Konsequent weitergedacht führt an dieser Stelle kaum ein Weg an der These vorbei, dass das in den Vordergrund Treten der Sekundärtugenden und die gleichzeitige Herabstufung der Primärtugenden zur Feiertagsphraseologie mit der Ökonomisierung des Sozialen zusammenhängen muss. Im Kontext einer zweckrationalen Ökonomie, in der der Zweck nahezu jedes Mittel heiligt, geraten die sekundären Tugenden dem Einzelnen zu hochgradig funktionalen Handlungsprinzipien, die aufgrund ihrer moralischen Neutralität keinerlei Schuld- oder Schamgefühle bewirken können. Alle Handlungen sind erlaubt, die zum selbstdefinierten Ziel führen. Und keine noch so drastische Handlungsfolge kann das Gemüt bedrücken. Der Mensch ist frei, nach seinen Lüsten und Zwecken zu handeln, und dem „hedonistischen Egoisten“ wird die Tür zum dominierenden Handlungstypus weit geöffnet (vgl. Stocker 1998: 23).
Zur Synthese von „self-regarding virtues“ und
„other-regarding virtues“
Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich Sinnkrisen und subjektiv empfundenes Unglück offenbar ausbreiten. Als Indikatoren dafür können der massenhafte Gebrauch von Psychopharmaka und die sich quantitativ stark ausbreitende Nutzung von Psychotherapie- und Lebenshilfeangeboten herangezogen werden (vgl. Presseerklärung der GKK-Salzburg: www.
geschaeftserfolg.at/lebensqualitaet/recherchen/pk/gkk.pdf ; 29. April 2011).
Ganz offensichtlich bewahrheitet sich hier die aristotelische Formel, dass der Mensch nur dann in den Genuss des eigenen Wohls kommen kann, wenn er in seinem Handeln gleichzeitig auch das Wohl der anderen berücksichtigt. Der Mensch hat zu vergessen begonnen, dass für ein erfülltes und glückliches Leben eine Synthese zwischen „self-regarding“ und „other-regarding virtues“ (vgl. Höffe 1998: 43) notwendig ist. Die aristotelische Glücksformel erinnert frappant an die von Klages vertretene Wertesynthese, in der es auch um die Verbindung von autozentrischen und nomozentrischen Werten geht (vgl. Klages 1988: 64).
Es ist offensichtlich, dass die Wertesynthese im Sinne von Helmut Klages und Aristoteles unter Jugendlichen genau so wenig gelingt wie unter Erwachsenen. Vielmehr zeigt sich immer häufiger ein auf die Gemeinschaft orientiertes Handeln, das nicht die Beförderung der Ziele des Kollektivs, sondern die Realisierung des individuellen Nutzens zum Zweck hat. An Gemeinschaften interessiert nicht mehr das, was diese selbst sind, ihre Ziele, ihre Werte etc., sondern nur mehr das, was man durch die Teilnahme an ihnen erreichen kann.
Es scheint zudem normal geworden zu sein, selbst die eigenen Mitmenschen dem Zweckprinzip zu unterwerfen. Der Wert des Menschen an sich tritt hinter dem Nutz- oder Tauschwert zurück, dessen Träger er ist. Der Mensch ist austauschbar geworden, ersetzbar durch einen anderen Menschen, der Träger nützlicherer Eigenschaften, Fähigkeiten oder Kontakte ist. Um es mit Michael Stocker zu sagen: „Individuen sind also nicht wichtig, sondern nur ihre Wirkung auf uns; sie sind vollkommen austauschbar – nämlich durch etwas anderes, das dieselbe Wirkung hervorbringt.“ (Stocker 1998: 24) In der Verzweckung der Zwischenmenschlichkeit, der Verwandlung des lebendigen Individuums in totes, austauschbares Sozialkapital, kommt die Dominanz der „self-regarding virtues“ über „other-regarding virtues“ zum Ausdruck.
Indem der egozentrische Individualismus den Wert der Gemeinschaftlichkeit zu überragen beginnt, wird Freundschaft immer weniger möglich, ist sie doch von der Vorstellung abhängig, „etwas um eines anderen willen zu tun oder sich um einen Menschen nur um dieses Menschen willen zu sorgen“ (ebd.). In der Verzweckung der Freundschaftsbeziehungen könnte durchaus auch der Grund dafür liegen, dass die jungen Menschen unserer Tage viele Bekannte und äußerst wenige Freunde haben, denn die verbreitete instrumentelle Zwischenmenschlichkeit ist in erster Linie oberflächliche, flüchtige Bekanntschaften zu generieren in der Lage. Hier kommt einem die facebook-Kultur in den Sinn, in der junge Menschen Kontakte sammeln und die Anzahl dieser Kontakte gleichzeitig über ihren Status in der Gleichaltrigengruppe entscheidet. „Desto mehr Bekannte, desto mehr Fame“, wie es ein Jugendlicher in einer Fokusgruppe einmal ausgedrückt hat. Zu den vielen Bekannten, die die Kids berühmt
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