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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Seele müsste ja vergehen, wenn dieses ihr Haus zerstört würde.

1
    A us der Kälte und Feuchtigkeit der Wasser erhob sich ein Nebel, der einen gefährlichen Geruch verströmte. Es war jene Art von Nebel, der sich weit über die Lande verbreitet, dem Vieh die Seuchen bringt und den Menschen den Tod.
    Als Clemens noch vor der Laudes das Pferd zäumte, ahnte er bereits, dass dieser Tag eine Entscheidung herbeiführen würde, doch die Frage, welche Richtung sie nehmen könnte, versetzte ihn in höchste Aufruhr.
    In der Nacht war heftiger Regen niedergegangen. Clemens hatte kaum geschlafen, dem lauten Prasseln gelauscht und sich immer wieder in tiefen Gedanken gewälzt.
    Wenn Johanna mit der Deutung der Zeichen richtig lag – und die Worte, die sein Großonkel ihm zugeraunt hatte, sprachen dafür –, dann war es von größter Wichtigkeit, die letzte Vision der Prophetin alsbald zu verkünden. Er musste die Botschaft finden, bevor sie der Vernichtung anheimfallen konnte, und es war offenbar, dass sie in Eibingen verborgen lag.
    Wer immer sich des Pergaments bemächtigt hatte, war gewiss mit der Entschlüsselung beschäftigt.
    Welche Rolle spielte Priorin Agnes in diesem unseligen Spiel? War sie die Verräterin, für die Clemens sie hielt? Hatte sie einst als Bibliothekarin Zugang zum Codex, hatte sie mit dessen Hilfe Teile der Botschaft entschlüsseln können? Und welche Absichtenhegte Radulf von Braunshorn? Denn dass der Exorzist nicht gekommen war, um den Teufel aus dem Kloster zu treiben – daran gab es keinen Zweifel.
    Eine heftige Sorge um Elysa hatte Clemens aufstehen lassen, als der Tagesanbruch noch weit entfernt lag. Er war in die Abteikirche gegangen, hatte sich vor dem Hochalter, wo die Gebeine der seligen Meisterin bestattet lagen, verneigt und um Kraft und Hilfe gebeten. Dann war er zu den Ställen gegangen, viel zu früh, doch wenn er sich nun aufmachte, könnte er gleich beim ersten Licht über den Rhein setzen.
    Schwester Johanna hob eine der Fackeln, die den Rupertsberger Klosterhof erhellten. Ihr Gesicht war fahl, die Augen waren rot gerändert. Auch sie hatte offenbar nur schwer in den Schlaf finden können. »Wenn Ihr zum Bingener Ufer kommt, fragt nach Jakob. Er ist der zuverlässigste Schiffer und wird Euch sicher über den Rhein geleiten«, sagte sie.
    Nun kam auch die Äbtissin über den dunstigen Klosterhof, gemessenen Schrittes, schwer auf ihren reich verzierten Stab gestützt. So wie sie im Nebel dastand, erinnerte sie Clemens an die buckelige Ida vom Kloster Eibingen, Namensvetterin der Äbtissin.
    »Unsere Fürbitten während der Vigilien galten Euch«, erklärte die Äbtissin düster. »Wenn es wahr ist, was Johanna mir in der Nacht noch berichtete, dann sitzt die Schlange an höchster Stelle.«
    »Wenn es sich nur um eine Schlange handelt, ehrwürdige Äbtissin«, erwiderte Clemens voller düsterer Ahnung, »was ich aber auszuschließen vermag.« Er verneigte sich vor ihr. »Im Namen des Allmächtigen versichere ich Euch, dass ich alles tun werde, um die Aufgabe, mit der die selige Hildegard den Mönch betraut hatte, zu Ende zu bringen. Und wenn ich dafür mein Leben lassen muss.«
    Die Äbtissin ergriff seine Hand. »Unsere Gebete sind mit Euch.«
    Dann stieg Clemens auf, nahm die Fackel, die Johanna ihm reichte, und ritt zur Pforte hinaus. Das Wasser stand schon im Torhaus, und als er das Kloster umrundete und die Brücke erreichte, war sie beinahe überspült. Er stieg vom Pferd, das beim Anblick des Wassers zu scheuen begann, und führte es am Zügel über die Brücke, um an deren Ende wieder aufzusteigen und den Weg in die Stadt Bingen fortzusetzen.
    Er war nur wenige Schritte von der Brücke entfernt, als sich ein ohrenbetäubender Lärm erhob. Entsetzt sah er durch den dichten Nebel zum Plateau, auf dem das Kloster stand, gerade in dem Moment, als sich ein Teil des Berges löste und mit großer Wucht in die Nahe stürzte.
    Die Wasser des schmalen Flusses türmten sich in hohen Wellen. Clemens ließ die Fackel fallen und trieb sein Pferd in den Wald hinauf. Voller banger Hoffnung wartete er ab, bis sich die Wasser beruhigten und den Blick auf das gegenüberliegende Kloster freigaben. Stürzte die Abteikirche vom Wasser gezogen in die Nahe, so wäre mit einem Schlag alles verloren. Der Rupertsberg, von Hildegard auf fruchtlosem Boden erbaut. Zentrum ihrer Macht und Verkündung.
    Endlich klärte sich die Sicht. Im Dunst des Flusses trieben Bäume und Sträucher. Das Kloster aber war

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