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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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erschließen kann, so auch die geheime Verständigung.«
    »Ich glaubte, die Meisterin erhielt die Worte der Lingua Ignota in einer Vision?«, fragte Elysa verwundert.
    »Es mag sein, dass das, was sie in ihrer Schau hörte, ähnlich klang, zumindest schöpfte sie aus dieser Quelle der Inspiration.« Ida wandte den leeren Blick nach vorne, gleichsam entrückt, als erinnere sie sich jener Zeit, als Hildegard sie in die Geheimnisseder Lingua Ignota eingeweiht und sie noch ihr Augenlicht besessen hatte. »Die ersten Worte waren von Gott, als er sprach ›Es werde Licht‹, und es ward Licht, ganz, wie er geheißen. Dann brachte er ein jedes Lebewesen zum ersten Menschen, um zu sehen, wie er es benannte.«
    Sie schwieg einen Moment, in Gedanken versunken und mit den Fingerspitzen über das Blatt streichend. »Wer wollte nicht in der Lage sein, dem Wortschöpfer Adam gleich eine himmlische Sprache zu erschaffen und jedes Ding und jedes Wesen neu zu benennen? Wer wollte nicht die Menschen aller Länder mit einer einzigen Sprache zu einem Volk einen? Doch wenn du die Augen schließt und die Worte laut und tönend sprichst, so wirst du bemerken, dass diese Wortschöpfung einer eigenen Art folgt, sowohl lateinische als auch dem Volksmund entsprungene Wortstämme miteinander vereint und mit Neuem, visionär Gehörtem ergänzt. Gleich der Verbindung der gebildeten mit der volksnahen Welt in paradiesischem Gleichklang. Hildegard hatte immer großen Wert auf das benediktinische Mittelmaß gelegt, das zwischen den Extremen die Balance zu halten wusste. Und wenn sie nicht die Völker der Erde einen konnte, so zumindest das Volk in ihrem Lande.«
    »Warum ist es nie dazu gekommen, warum blieb die Sprache im Geheimen verborgen?«, fragte Elysa.
    »Das kann ich dir nicht beantworten.« Ida legte die Stirn in Falten.
    »Du sagst, die Sprache verbindet zwei Sprachformen«, fuhr Elysa wissbegierig fort. »Nenn mir ein Beispiel.«
    »Arrezenpholianz.«
    Elysa sprach das Wort nach, es klang fremd.
    »Versuche es Adam gleichzutun, dessen Stimme vor dem Sündenfall in vollem, harmonischem Klang ertönte. Auch das ist bei dieser Sprache wichtig, zum Heil der Seelen, denn der Teufelmeidet den Gesang. Du musst es singen und die Betonung verlagern.«
    Ida ließ das Wort tönen, seltsam herb und doch voller Anmut, gleichwohl sich Elysa auch bei größtem Wohlwollen die Bedeutung noch immer verbarg.
    »Es bedeutet Erzbischof«, erklärte Ida. »Lateinisch Archiepiscopus und im Volksmund Erzebischof. Ein scheinbar willkürliches Wortspiel, zweifellos, doch die Meisterin hatte ihre Freude an derartigen Übungen. Dazu kamen ungewöhnliche Endungen, die den ungeübten Betrachter verwirren sollten, da sie die Substantive unterschiedlich strukturierte. Wer sich der Entschlüsselung annahm, mochte es für ein harmloses Glossar halten, da der Großteil sich mit Wörtern der Naturkunde befasste. Nicht-Eingeweihte sollten denken, dass gleiche Endungen einen Zusammenhang erkennen ließen, so haben Bäume und Sträucher die Endung BUZ und die Bücher BIZ. Doch dem war nicht so. Im Kern waren Naturkunde, Gegenstände und Personengruppen voneinander getrennt. So bezeichnet die Endung INZ eine Person in ausführender Position, wie der Kanzler oder der Exorzist. In der Naturkunde hingegen konnte sie auch mal eine Kinnlade bezeichnen oder eine Gurke, das war so gewollt. Die Endung ANZ bezeichnet einen Entscheider, einen Regenten eines begrenzten Bereiches. Wie der Bischof oder Erzbischof oder der Priester einer Gemeinde. Die Endung ONZ jedoch zeigt Hildegards besonderen Sinn für Humor. Denn sie kommt nur bei den höchsten Mächten vor, dem Papst, Heiland oder Gott. Nicht immer war ich mit dem eins, was sie mit einem Augenzwinkern bedachte. Denn was anderes als Übermut hatte es zu bedeuten, dass sie auch das Wort für die Nonne mit dieser Endung versah?«
    Elysa hatte den Erläuterungen gebannt gelauscht, ergriffen von der ungewohnt erscheinenden Lebendigkeit, mit der die sonst so gestrenge Nonne sprach. Immer wieder strich Idas Finger überdie Schriftzeichen, doch am Ende konnten sie in Ermangelung des fehlenden Teils nur eines in Erfahrung bringen:
    Eine Vision sei in der Eibinger Klosterkirche verborgen, dort, wo man den Worten des Lichts nahe sei. Und man solle sich des Hochmuts erinnern, der den Menschen einst zum Verhängnis geworden sei.

4. TEIL
    Der Ort der Entscheidung aber ist die Erde:
Die Erde ist der lebendige Aufenthalt und das Haus der Seelen;
die

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