Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
großem Fleiß an den Kopien gearbeitet, doch das hatte alsbald aufgehört. Und als sich auch noch die Gicht Margaretes Fingerbemächtigte, gab es niemanden mehr, der sich der Schreibarbeit anzunehmen vermochte. Selbst die Novizinnenmeisterin Elisabeth nicht – sie hatte es nicht einmal zustande gebracht, einem ihrer Schützlinge das Schreiben beizubringen.
»Du hingegen wärst eine gute Nonne«, ereiferte sich Margarete. »Zumindest, was deine Klugheit betrifft. Mit dir wäre das Skriptorium nicht länger verwaist. Auch könntest du die Leitung der Novizinnen übernehmen und sie all das lehren, was in den Büchern unserer Kirchenväter steht.«
»Ida hätte gewiss ihre wahre Freude an deinen Überlegungen«, entgegnete Elysa spöttisch.
»Ich meine es ernst«, sagte Margarete ruhig und setzte zu einer längeren Erwiderung an. Dann aber besann sie sich eines Besseren und begann, durch die Seiten der Visionsschrift zu blättern.
Elysa hingegen widmete sich erneut der Truhe. Es gab keinerlei Urkunden, die über Privilegien oder Besitzverhältnisse Auskunft gaben, wie man es ansonsten in einem Archiv vorfand. Elysa vermutete, dass jedweder Besitz, den die Frauen bei ihrer Weihe dem Kloster darbrachten, dem Mutterkloster Rupertsberg unterstand. Dafür gab es eine Schrift zu den Consuetudines, ein Verzeichnis der Laienbrüder und Laienschwestern, die in Eibingen beschäftigt waren, einige Schul- und Studienmaterialien und eine Auflistung der sich im Besitz des Klosters befindlichen Schriften.
Noch einmal nahm Elysa die Klosterannalen in die Hände, löste die Hanfkordel und blätterte durch die Seiten. Sie las vom Wiederaufbau des Konvents auf den Ruinen des zerstörten Augustinerchorherrenstifts. Von dem Glück einer nahezu unbeschädigten Klosterkirche und von der Weihe der Kirche, den Altären und der Glocke, die zum Ende des Schismas Anno Domini 1177 durch eine größere, klangvollere in der neuartigen Form eines spitzen Hutes ausgetauscht worden war.
Sie las von dem Einzug der ersten Nonnen, unter denen auch Jutta aufgeführt war, ebenso Otilie, Margarete und Irmentraut, dann Ida. Von dem Tod der ersten Priorin durch ein schweres Fieber und von der Berufung der Rupertsberger Bibliothekarin Agnes. Auf dem nächsten Blatt, in eng gezeichneter Schrift fand sich eine Liste der Gäste, die der Priorin einen Besuch abstatteten, unter deren Namen Elysa auch den Mainzer Erzbischof Konrad entdeckte. Plötzlich brachen die Eintragungen jedoch ab. War das der Zeitpunkt, an dem man die Priorin für die Überschreitung ihrer Aufgaben gemaßregelt hatte?
Elysa blätterte noch einmal durch die Seiten und löste sie, wo sie miteinander verklebt waren. Das Fragment aber, dessen Anblick sie so innig herbeisehnten, befand sich nicht darunter.
»Eigenartig«, sagte Margarete in diesem Augenblick. Die Nonne saß noch immer am Pult und betrachtete den Einband der Visionsschrift. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Holzplatten, die das Buch umspannen, mit Leder bezogen waren.«
Elysa merkte auf. »Bist du dir dessen sicher?«
»Ja, das bin ich«, antwortete Margarete fest. »Dieser Einband war schlicht gehalten, wie all die anderen auch.«
Mit wenigen Schritten war Elysa bei dem Pult. Sie nahm das gebundene Werk in die Hände und betrachtete den Buchrücken, prüfte, ob die Kordel neu verknotet und der Rücken ausgetauscht worden war. Doch die Stränge der Kordel saßen fest, fest verbunden von der Feuchtigkeit der Jahre. Auch das Leder machte den Eindruck, als würde es schon immer am Holz haften, nichts wies auf ein späteres Anbringen hin. Sollte es an diesem Folianten eine nachträgliche Veränderung gegeben haben, so war sie äußerst gelungen.
Als Elysas Finger jedoch über das Leder strichen, spürte sie, dass es in der Mitte nicht glatt ans Holz gebracht war. Zuerst wares nur eine Ahnung, doch je öfter sie über den Buchrücken fuhr, desto größer wurde die Gewissheit.
Vergebens versuchte sie, den verleimten Rand mit Kraft anzuheben, als sie sich des Messers in der Vertiefung des Pultes erinnerte, mit dem man den Federkiel zu schärfen pflegte. Vorsichtig trieb sie die Klinge zwischen Holz und Leder.
»Margarete«, flüsterte sie. »Sieh her.« Ihr Herz schlug hart gegen die Brust, als sich das Leder vom Buchrücken löste und ein handtellergroßes Stück Pergament mit wundervoller Miniatur zum Vorschein kam. »Wir haben es!«
»Es ist nicht verloren«, stammelte Margarete, die sanft über die Haut
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