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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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sich über die Beobachtungen der Astronomie erhebt und den Sternen einen Einfluss auf das menschliche Schicksal zubilligt, frei von jedweder göttlichen Allmacht.
    Der Glockenturm! Es konnte kein Zufall sein. Turm des Hochmutes, wie einst der Turm von Babel. Von Menschen erbaut, die sich anmaßten, mit Gott wetteifern zu wollen und einen Turm zu bauen, der bis zum Himmel reichen sollte.
    Sie sollten sich des Hochmutes erinnern, der einst der Menschheit zum Verhängnis wurde. Zweifellos. Hildegard hatte den Turmbau zu Babel gemeint.
    Gott schuf den Menschen und gab ihnen eine Sprache. Doch durch den frevelhaften Turmbau wurde das Menschengeschlecht zerrissen, durch Gottes Zorn verstreut in 72 Sprachen und 72 Völker.
    Hildegard von Bingen wollte das Volk mit einer neuen Ursprache einen, hatte Ida vermutet. Nur das Volk dieses Landes oder die gesamte Menschheit? Lingua Ignota . Ursprache, Himmelssprache voller berückender Kraft. Eingesetzt als Teil der geheimen Verständigung.
    Als Elysa diesen Gedanken zu Ende dachte, begriff sie, dass es Hildegard nicht um die Einsetzung einer neuen Weltsprache gegangen war. Denn dann hätte sie zu Lebzeiten für deren Verbreitung sorgen müssen. Nein, sie hatte diese Sprache geschaffen, um die Welt in ihrer Zerrissenheit zum festgesetzten Zeitpunkt mit einer Botschaft zu einen, mit der letzten Vision, die von allergrößter Wichtigkeit war.
    Und dafür musste sie an einem metaphorischen Ort verborgen sein, einem Ort, auf den das Pergament auf vielfältige Weise hinwies. Elysa erkannte, dass es nur eine Posaune gab, die es gleich der Prophetin vermochte, die Wahrheit in alle Welt zu verkünden und das Böse zu vertreiben. Jene Posaune, die der Menschheit von der göttlichen Verheißung kündet. Die in der Spitze des Turmes dazu läutet, an den Teufel zu mahnen und die Gläubigen zu sammeln: die Kirchenglocke. Die Glocke aber, die die Worte der Prophetin verkünden sollte, war jene im Turm der Klosterkirche von Eibingen.
    Nun gab es für Elysa kein Halten mehr. Es war die Zeit nach der Laudes, in der die Nonnen sich im Kapitelsaal versammelten, als Elysa den Scivias in die Archivtruhe zurücklegte, sie sorgfältigverschloss und sich mit dem Schlüssel im Wollhabit aufmachte, das Skriptorium zu verlassen. Über das Südportal erreichte sie die Abteikirche, nahm die steinernen Stufen zur Empore an der Westseite und öffnete den schmalen Zutritt zum Glockenturm, gedankenverloren und unaufmerksam. So sah sie die große Gestalt am Fuße der Wendeltreppe erst, als sie den Turm bereits betreten hatte.

5
    A ls Clemens von Hagen den Fährmann Jakob in einer schäbigen Holzhütte in der Nähe des Bingener Ufers fand, lag die Stadt noch in dichtem Dunst.
    »Ich kann Euch nicht hinübersetzen«, beharrte der Schiffer, obgleich Clemens ihm einen stattlichen Lohn versprochen hatte, weit über das Übliche hinaus. »Die Strömung ist zu stark und die Sicht zu schlecht.«
    Die Unruhe des Kanonikus wuchs und mit ihr die Furcht, die er des Nachts in den hintersten Winkel seiner Seele verbannt hatte. Würde er zu spät kommen? »Ich bitte dich inständig, obgleich ich dein Zögern verstehe, bring mich hinüber, bevor ein Unglück geschieht.«
    Jakobs junge Frau trat hinzu. Sie war dünn und hohlwangig, hielt einen schreienden Säugling im Arm und hatte am Rockzipfel ein kleines Mädchen. »Nimm das Geld, Jakob, wir können es gut gebrauchen. Das Brot ist schimmelig, meine Milch versiegt. Wie sollen wir den Winter überstehen, wenn wir die Menschen nicht über den Fluss setzen? Anselm hat gestern noch einen Reisenden hinübergebracht. Ich sah, wie er das andere Ufer unbeschadet erreichte.«
    »Und ist er im Boot zurückgekehrt?«, entgegnete der Schiffer schroff an seine Frau gewandt und verschränkte die Arme. »Nein. Er ist gekentert. Mitsamt den Handwerkern, die er zurück nachBingen nahm. Den Älteren konnte er ans Ufer retten, aber den Sohn haben die Fluten verschlungen. Möchtest du, dass uns dasselbe Schicksal widerfährt? Das Wasser ist weit über die Ufer getreten, das Boot wird leckschlagen, bevor es noch zu Wasser gelassen ist.«
    »Schwester Johanna vom Kloster Rupertsberg empfahl dich als den erfahrensten Fährmann«, versuchte Clemens es nun mit Schmeichelei.
    »Wäre ich weit weniger erfahren, so würde ich dem Glanz des Silbers nicht widerstehen. Doch was nützen meiner Frau und den Kindern die Münzen, wenn der Mann in den Fluten untergeht und das Boot noch dazu?«
    »So gib mir das

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