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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Pferdewagen gerissen und vor den Augen der Kinder geschlagen. Elysa hatte die Mutter voller Scham gesehen, das ehedem so strahlende Antlitz vom Weinen verquollen.
    »Hüte dich vor den Männern!«, hatte ihre Mutter voller Bitterkeit geflüstert. »Sie sind selbstherrlich und stur. Ereifern sich in Grausamkeiten, wenn die Macht über die Frau ihnen entrinnt. Hüte dich vor der Gewalt der Selbstverliebten, entfliehe ihr, so gut du kannst.«
    Die Jahreszeiten vergingen, und als der Frühling kam, war die Mutter wie ausgewechselt. Die Wangen rosig, der Blick klar und strahlend. Etwas hatte sich verändert. Sie schien glücklich, zum ersten Mal – es hatte indes nicht lange anhalten sollen.
    Der Teufel habe ihr ein Bein gestellt, hatte man gemunkelt, als der Wagen sie in den Burggraben riss, doch es war nicht der Hochmut, den er damit strafen wollte, sondern das wenige Glück, das man ihr geneidet hatte.
    Elysa merkte auf und schärfte den Blick. Der Hochmut. Er schien sie zu verfolgen. Sie sollten über den Hochmut nachdenken, hatte Hildegard auf das Pergament geschrieben. Galt es auch ihr?
    Noli esse sapiens apud te ipsum. Hatte sie etwas übersehen, im Glauben an ihre vermeintliche Klugheit?
    Wieder richtete Elysa den Blick auf die Seiten der Visionsschrift, die vor ihr lag.
    Hildegard hatte die Botschaft der Lingua Ignota auf eine kunstvoll gefertigte Zusammenschau der dritten Vision des Scivias geschrieben. Die ganze Zeit über hatten sie sich auf die Entschlüsselung der Botschaft konzentriert. Warum aber hatte sie als Hintergrund diese dritte Vision des ersten Teils erwählt? Warum nicht eine andere?
    Noch einmal überflog Elysa die Schrift. Es ging um den Wind, um Regen und Hagel. Von der Kraft der Elemente, gleichsam als Mahnung und Belehrung.
    Qui dum sonitum suum eleuat, ille lucidus ignis et uenti et aer commouentur.
    »Als sich das Getöse erhebt, geraten das leuchtende Feuer, die Winde und die Luft in Aufruhr«, las sie flüsternd. »Während der Menschenmord in Blutgier knirscht, werden himmlische Gerichtsurteile, wie Wind dahineilende Gerüchte und Erlass von Verfügungen zur Bestrafung nach gerechtem Urteil in Bewegung gesetzt, so dass Blitze dem Donner zuvorkommen, denn das Feuer verspürt die erste Regung des Donners in sich. Die Erhabenheit des Schauspiels der göttlichen Gerichtsuntersuchung bereitet nämlich dem Frevel überlegen ein Ende, weil auch die göttliche Majestät mit allsehendem Auge, vor dem alles nackt daliegt, das Wüten dieses Wahnsinns sieht, bevor es öffentlich zutage tritt.«
    Eine Vision als Mahnung und zugleich eine Prophezeiung. So waren es eben diese Tage, in denen der Mord geschah, als die Elemente zu wüten begannen.
    Elysa las weiter, Seite um Seite, begriff die göttliche Anordnung des Kosmos und die Missachtung derer, die glaubten, sich in der Deutung der Gestirne über die Schöpfung erheben zu können.
    »Doch diese Menschen, die mich durch ein übles Handwerk so hartnäckig versuchen, dass sie die zu ihrem Dienst geschaffene Schöpfung durchforsten und zu erfahren suchen, ob sie ihnendas, was sie wissen wollen, nach ihrem Willen kundtut; können sie vielleicht mit ihren Untersuchungen die von ihrem Schöpfer für sie festgesetzte Lebenszeit verlängern oder abkürzen? Sicherlich nicht; um keinen Tag und keine Stunde. Oder können sie etwa die Vorherbestimmung Gottes hintansetzen? Keineswegs. O ihr Unglücklichen.«
    Elysa merkte auf. Diese Stelle berührte etwas in ihr, obgleich sie mit der Lehre der Sternendeuter nicht vertraut war. Etwas daran war wichtig, das spürte sie, doch sie konnte es nicht greifen.
    »O Mensch, wo warst du, als die Gestirne und die übrigen Geschöpfe entstanden? Hast du etwa Gott beraten, als sie gebildet wurden?«
    Der Hochmut – hier war er wieder. Menschen, die sich der Deutung an Gottes Plan versuchten. Erinnere dich des Hochmuts, der den Menschen einst zum Verhängnis wurde …
    Während Elysa in die verglimmende Flamme der Lampe starrte, begriff sie plötzlich, warum diese Sätze sie erregt hatten. Denn auf einmal stand ihr der Glockenturm vor Augen und dessen absonderliches Figurenfries. Mit den in Stein gehauenen bärtigen Männern, heidnischen Priestern. Dem großen Rad mit kreuzförmigen Speichen, daneben eine menschliche Halbfigur mit über der Brust gefalteten Händen, gleich Sonne und Mond. Elysa war entsetzt gewesen, als sie es erblickt hatte. Bildnisse der Häresie oder Spott über die Lehre der Astrologie? Jener Lehre, die

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