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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Boot und lass mich alleine übersetzen.«
    »Unmöglich! Ihr kennt die Stromschnellen und Felsen nicht, die sich inmitten des Wassers verbergen. Ihr würdet das andere Ufer nicht lebend erreichen.«
    Der Säugling schrie noch lauter, schüttelte sich in Wut und Hunger. Clemens trat einen Schritt vor und legte dem Mann die Hände auf die Schultern. »Deine Kinder brauchen Essen. Ich gebe dir alle Münzen, die ich bei mir führe, damit kannst du Frau und Kinder ernähren, bis der Frühling Einzug hält. Doch bring mich hinüber! Ich bitte dich im Namen von Hildegard von Bingen, der seligen Äbtissin des genannten Klosters.«
    »Hildegard von Bingen?« Jakobs Augen weiteten sich. »Was hat es mit der Heiligen auf sich?«
    Clemens ließ seine Arme sinken. »Eine Heilige, fürwahr. Und doch kann der Antrag zur Heiligsprechung nicht gestellt werden, noch wird die Christenheit den Jüngsten Tag erleben, wenn nicht ein furchtbares Unglück verhindert wird, das das Eibinger Kloster heimsucht. In diesen Tagen offenbart sich die allwaltende Macht, welche den Erdball mit all seinen Geschöpfen zu einem lebendigen Ganzen gestaltet hat. Die Kräfte der Schöpfung treten ingewaltsamen Widerstreit: Die vernichtenden Unwetter, die Nebel der übertretenden Wasser verkünden Zerstörung, und über Menschen und Tier schwingt der Würgeengel sein flammendes Schwert. Die Elemente zeigen auf sündhafte Werke der Menschen und weisen auf bevorstehendes Unglück. Sie treten an, die Welt zu vernichten, wenn die Menschheit sich nicht gegen den Einen stellt, der das Verderben bringt.«
    Die junge Frau schrie auf, riss ihre Kinder an sich und verbarg sie in einer dunklen Ecke der zugigen Hütte. Der Schiffer aber, ein Mann von Edelmut, betrachtete ihn prüfend. »Sagt, sprecht Ihr die Wahrheit?«
    »Bei Gott, dem Allmächtigen, das tue ich.«
    »Dann will ich Euch helfen. Hildegard von Bingen rettete einst mein Augenlicht, als ich es nach einer schlimmen Krankheit verlor. Meine Mutter brachte mich zu ihr, als sie gerade über den Rhein nach Rüdesheim fuhr, um das Kloster Eibingen zu besuchen, und flehte sie unter Tränen an, mir ihre heiligen Hände aufzulegen. In gütigem Mitleid hielt sie inne, schöpfte mit der linken Hand Wasser aus dem Fluss und sprach aus dem Johannes-Evangelium, während sie es mit der rechten segnete. Kaum benetzte das Wasser meine Augen, ward ich geheilt.« Seine Augen leuchteten, er tastete nach einem kleinen Beutel an seiner Brust, der ihm Zuversicht zu geben schien. »An diesem Ort hatte man derlei Geschichten oft zu hören bekommen. Hildegard heilte eine Magd des Klosters von einem üblen Halsgeschwür und einen jungen Mann von der Fallsucht. In Rüdesheim wurde ein Säugling vom Gliederzucken befreit – in der Tat, Hildegard ist eine Heilige.« Er warf einen letzten Blick zu seiner zitternden Frau, griff nach dem Umhang und winkte Clemens, ihm zu folgen. »Wohlan, der Herr wird uns leiten. Ich bringe Euch ans andere Ufer.«

6
    N och bevor sich die Priorin auf den Platz neben dem Vorsteherstuhl setzte, schlüpfte Margarete in den Kapitelsaal. Ihre Arme fest um das im Habit verborgene Tafelbild geschlossen, das sie ohne großes Zögern eingesteckt hatte, um nun in der Versammlung dessen würdige Verwahrung einzufordern.
    Neben Agnes saß Humbert von Ulmen, der Seelsorger, mit verschlossenem Gesicht.
    Der Saal lag in gedämpfter Helligkeit. Eine angstvolle Anspannung war zu spüren, selbst die ansonsten so emsig tuschelnden Novizinnen verharrten schweigend und starrten auf den leeren Vorsteherstuhl. Doch Radulf von Braunshorn erschien nicht.
    Margarete überkam das schlechte Gewissen. Erneut hatte sie sich einer Sache bemächtigt. Hatte sie zunächst das Pergament eingesteckt, so war es nun das Altarbild gewesen. Doch der Anblick des achtlos abgestellten Bildes hatte sie in tiefe Trauer gestürzt. Wenngleich sie in ihm keine verborgene Vision entdeckt hatte, so bewahrte es doch das Andenken der Prophetin.
    Nach einer Weile unschlüssigen Wartens eröffnete Agnes die Versammlung und begann aus der Ordensregel zu rezitieren, die Schrift auf den Knien. »Überall ist Gott gegenwärtig, so glauben wir, und die Augen des Herrn schauen an jedem Ort auf Gute und Böse.«
    Es folgte eine Anweisung zur Haltung beim Gottesdienst und,als der Exorzist noch immer nicht erschien, noch die Aufforderung zur Ehrfurcht beim Gebet. Dann erhob die Priorin sich zögernd und sprach den Segen, den Blick mehr auf den Eingang des

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