Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
Vom Netzwerk:
entgegenprangten.
    »Die Inschrift«, rief Elysa in plötzlichem Erkennen aus.
    Worte des Lichts. Wahrlich, Hildegard liebte die Allegorie. Vorsichtig beugte sie sich vor, um die Schrift zu entziffern.
    LAUDO DEUM VERUM stand in der ersten Zeile. Den wahren Gott lobe ich.
    Die übrigen Worte waren unverständlich, scheinbar wahllose Aneinanderreihungen von Buchstaben, doch Elysa erkannte Endungen, von denen Ida gesprochen hatte. In der Tat, es waren Worte der Lingua Ignota, geschrieben in lateinischer Schrift!
    Sie versuchte, die Worte leise zu flüstern, sie immer wieder zu lesen und in ihr Gedächtnis zu hämmern. Doch es waren zu viele. Auch war die Aussprache ungewohnt. Was, wenn sie später, sollte Gott ihre Rettung erwirken, auch nur eine der Aneinanderreihungen falsch zitierte?
    »Diuveliz culiginzeo Kelionz de Rischolianz«, wiederholte Elysa eine der Zeilen wieder und wieder. Doch sobald sie die Augen schloss und versuchte, das soeben Erlernte aus dem Gedächtnis aufzusagen, musste sie erkennen, dass das Vorhaben zum Scheitern verurteilt war.
    Elysa drehte sich zum Kreuzhof hin, in dem sich unterdessen der ganze Konvent versammelt zu haben schien. Bis auf Agnes und Jutta – und Ida.
    »Holt Ida!«, rief sie hinunter. »Holt die blinde Nonne!«
    Während einige der Nonnen sich aufmachten, Ida zu suchen, zogen Wolken vor die Sonne, ließen die Inschrift verblassen. Bangsah Elysa zum Himmel. Dort hinten, unweit des Rheingaus, tat sich eine größere Lücke auf.
    Endlich erschien Ida im Kreuzhof und reckte den Kopf hinauf.
    »Ich habe die Botschaft, Ida. Die Botschaft der heiligen Hildegard. Denk nur, sie steht als Inschrift in der Glocke. Man kann sie lesen, wenn das Licht durch Ritzen im Gemäuer scheint!«
    Unter den Nonnen erwuchs heftige Aufregung. Lautes Gemurmel erhob sich.
    Energisch mahnte Ida, sie zu schweigen, und rief: »So sprich.«
    »Warte auf die Sonne.«
    Dann drangen die Sonnenstrahlen durch. Elysa las die Zeilen und rief sie hinab: »Diuveliz culiginzeo Kelionz de Rischolianz. Kolscanz fuscaleo, razintho Kelionz sanccuvin kanzilo. Jaschua cum kanchziol lunzikol strangulizeo Kelionz, zaruliz tenziz scaliziz ud Rischolianz cioliunz on inimois de crizia. Pa miskila, tu tronzeo jur in scaurin limixeo burizindiz de zol.«
    Die blinde Nonne legte die Hand an ihr Ohr und schüttelte den Kopf. Elysa drehte sich zur Glocke, doch eine weitere Wolke verdeckte die Sonne und verdunkelte die Schrift. Es dauerte eine Weile, bis neue Strahlen die Wolkendecke durchbrachen.
    Wieder trug Elysa die Worte vor, doch dieses Mal sang sie sie in abwechslungsreicher Melodie. So, wie Ida es ihr am Abend zuvor gezeigt hatte.
    Die blinde Nonne nickte heftig. Sie hatte verstanden.

11
    E s hatte eine Weile gedauert, dann aber war die Leiter gefunden. Sie war alt und morsch, nicht wie die der Handwerker, von denen Margarete ihm erzählt hatte. Aber jene hatten ihre Leiter mitgenommen, als sie das Kloster verließen.
    Einer der Laienbrüder war auf dem Weg ins nahe Dorf, um eine neue, längere zu beschaffen. Doch darauf konnte Clemens nicht warten, er musste augenblicklich handeln, denn der Turm konnte jederzeit zusammenstürzen.
    Clemens von Hagen hatte gedacht, das Herz würde ihm bersten, als er Elysa dort oben auf der Brüstung der Schallarkaden gewahr wurde. Zart und fern, im Wollhabit der Benediktinerinnen, mit herabfallendem, nassglänzendem Haar. Doch obwohl Elysa sich in größter Gefahr befand und einen Abstieg vom Turm alleine nicht bewältigen konnte, hatte er den Eindruck gewonnen, dass sie keineswegs hilflos war.
    Etwas hat sich verändert seit meiner Abreise, dachte er, als er nun gemeinsam mit Gregorius den Kreuzhof betrat, die Leiter in den Händen, an den aufgeregt tuschelnden Nonnen vorbei.
    Die Leiter an die Mauer des Kreuzganges gelehnt, kam er bis zu den Dachbalken im südlichen Seitenschiff, die von den Handwerkern erneuert worden waren. Über das Gerippe der Holzlatten konnte er bis fast zum Dach des Mittelschiffs klettern. Nun war er Elysa ganz nahe.
    »Kommt, steigt auf den unversehrten Teil des Simses und lasst Euch von dort aus herunter.«
    »Wollt Ihr mich auffangen?«, fragte Elysa, nicht ohne belustigten Unterton, den er angesichts der Lage als allzu übermütig empfand.
    Clemens beobachtete erstaunt, wie sich Elysa trotz ihres langen Gewandes behände über die Brüstung bewegte und sich auf das Sims des Figurenfrieses hockte, um sich von dort aus herunterzulassen. Es schien ihm, als wolle

Weitere Kostenlose Bücher