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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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sollte sie unverletzt zu Boden gelangen?
    Vorsichtig richtete Elysa sich auf, stützte sich am Arm des steinernen Heidenpriesters, bis ihre Hände die Öffnung fanden. Als sie sich abstieß, um die regennasse Brüstung der Schallarkaden zu erklimmen, brach ein Teil des Simses unter ihren Füßen und fiel polternd zu Boden.
    Mit aller Kraft krallte Elysa sich an der rutschigen Brüstung fest, hangelte sich behutsam ein Stück zur Seite, bis ihre Füßewieder ein unversehrtes Stück des Simses fanden. Dann versuchte sie es noch einmal.
    Dieses Mal gelang ihr Vorhaben. Mit einem Schwung erreichte sie die Brüstung der Schallarkaden und starrte in die rußgeschwärzte Tiefe des Glockenturms. Die Glocke hing unversehrt am fein geschwärzten Joch, das Zugseil war schwarz verkohlt. Die Holztreppe aber war vollständig zerstört, ebenso der hölzerne Boden der Empore, durch den sich die Flammen gefressen hatten. Übrig war nur ein steinernes Gerippe, das bis zum Kirchenvorraum hinabreichte und am Boden ein Haufen rauchender Trümmer. Wie lange würde das Gemäuer des Turmes noch halten?
    Elysa sank der Mut.
    Plötzlich tauchte im Vorraum ein wohlbekanntes Gesicht auf, und als sie es bemerkte, durchströmte sie ein Schauer der Freude und Zuversicht. Es war Clemens von Hagen, der sich mit einiger Bestürzung den Schaden besah.
    »Jesu Domine noster!« Seine Worte drangen nicht bis hinauf, doch Elysa sah, wie die Lippen sie formten. »Elysa!«
    Er bedeutete ihr, sich ruhig zu verhalten, und lief davon.
    Die dunkle Wolke, die wie ein schützender Mantel das Kloster bedeckt hatte, verzog sich gen Süden und mit ihm der Regen. Ein Sonnenstrahl schob die dichte Wolkendecke beiseite.
    Elysa konnte sich des berückenden Schauspiels nicht entziehen. Obgleich sie sich in unzweifelhaft prekärer Lage befand, schweifte ihr Blick über die Klosteranlage nach Rüdesheim, bis hin zum Rhein. Sie sah Schwestern, die, durchnässt vom Regen, noch immer wie eine aufgescheuchte Herde umherliefen, und Clemens, der vor Gregorius stand und heftig gestikulierte.
    In jenem Augenblick, als die Strahlen über ihr Gesicht strichen, spürte sie, dass es eine Rettung geben musste, und sei es die Rettung ihrer Seele, die der Herr nun ins Licht führen mochte, dorthin, wo auch Hildegard ihren Platz hatte.
    Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und spürte die Sonne auf ihrem Antlitz. Sie dachte an Clemens von Hagen und an den Ausdruck seines Gesichtes, an seine Besorgnis und an das Versprechen, ihr zur Hilfe zu kommen. In ihre Freude über das Wiedersehen mischte sich Wut, die sie noch immer darüber empfand, dass er sie in einem Kloster alleine gelassen hatte, in dessen Mauern das Böse herrschte.
    Elysa öffnete die Augen und sah noch einmal in den Turm hinunter. Dort unten stand Margarete seitlich der verkohlten Trümmer, die Hände in den Ärmeln des Habits verschränkt, und schaute zum Kirchenschiff.
    Elysa folgte ihrem Blick, drehte den Kopf und sah durch das unfertige Dach des südlichen Seitenschiffes, wie einige Schwestern Agnes vom Steinboden hoben, auf eine Art Bahre legten und sie schließlich zum Südportal hinaustrugen.
    In einem Anflug von Mitleid hoffte Elysa, dass Agnes noch am Leben war. Zumindest lang genug, um jenen Tod zu sterben, der ihr als Priorin zustand, unter den Gebeten der Trauernden und dem Duft des reinigenden Weihrauchs.
    Der Erzbischof hatte Agnes mit List das Wissen um das Geheimnis entlockt, so wie der Teufel erst durch Eva erfahren hatte, dass der Baum verboten war.
    Elysa merkte auf. Hildegard von Bingen war eine widerständige Nonne, die den Sündenfall, Evas ewigen Makel, nachsichtig beurteilt und statt der Frau dem Teufel in seiner Gerissenheit die Schuld zugewiesen hatte.
    Der Teufel … Hildegard hatte ihm Einhalt gebieten wollen, als sie die letzte Vision verfasste. Als Elysa sich aufmachte, um die Botschaft zu finden, hatte sie diese im Turm vermutet, bei der Glocke, neu gegossen eingedenk des Endes des Schismas, der Anerkennung des einzigen Papstes durch Kaiser Friedrich Barbarossa.
    Elysa wandte sich ihr zu. Die Glocke war groß und mächtig, gegossen mit der neuen Fertigkeit der Ummantelung. Nun erst bemerkte sie, dass der Strahl der Sonne das Gemäuer oberhalb der Schallarkaden in schmalen Schlitzen durchbrach und sein Licht in hellen Streifen auf die Glocke warf. Auf der Glockenflanke aber erschienen Buchstaben, eingegossene Majuskeln, die ihr im Licht der Sonne in vielfältigen Zeilen

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