Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Rupertsberger Kloster ausstellte, hat sie mit schneidenden Worten Gottes Botschaft zugerufen, als er mit Gegenpäpsten die christliche Welt entzweite und sich aufmachte, jede Parteinahme für den kirchlichen Papst mit Waffengewalt zu bekämpfen.«
»Sie ist dem Kaiser in die Parade gefahren?«, fragte Elysa.
»In der Tat.« Margarete schloss die Augen, als suche sie in ihrer Erinnerung nach Worten. »Wehe, wehe diesem bösen Tun der Frevler, die Mich verachten!«, flüsterte sie schließlich. »Das hört, König, wenn du leben willst! Sonst wird Mein Schwert dich durchbohren!«
Elysa schwieg und betrachtete das weiche Gesicht der Nonne. Die Verehrung für die beherzte Meisterin war offenbar. Und doch wohnte Margarete, ja, keiner der Nonnen jener Kampfesgeist inne. Nein, auf eine stoische Weise suchten sie das Böse in das tägliche Einerlei zu integrieren, schienen es als gegeben zu ertragen,ohne sich dagegen aufzulehnen. Was taten sie, um sich ihrer Meisterin würdig zu erweisen? Das gleichmütige Dulden des Leids – es hing als Kreuz über dem Altar und durchdrang das ganze Kloster. Doch es war gewiss nicht im Sinne der seligen Äbtissin vom Rupertsberg.
»Was, ehrwürdige Schwester, hätte die Meisterin getan, nun, da ein unheilvolles Spiel eines ihrer Klöster zu zerstören droht?«
»Hildegard?« Margarete sah erstaunt auf. »Sie hätte gebetet«, begann sie zögernd und setzte sogleich fest hinzu: »Gebetet und gekämpft. Ja, Hildegard war eine Kämpferin, klug und zäh. Sie wusste ihre Fäden zu spinnen. Viele Menschen, Bischöfe, Erzbischöfe, Klostervorsteher und Adelige und auch das gemeine Volk, sie alle standen ihr zur Seite. Sie war das Licht im Dunkeln, die Kraft der weibischen Zeit, in der der Klerus machte, was ihm in den Sinn kam, anstatt das Wort Gottes zu leben und nicht nur lau zu verkünden.«
»Hildegard hätte es niemals zugelassen, dass das Böse in ihr Kloster dringt. Warum tut ihr nichts dagegen?«
Margarete schlug bestürzt das Kreuz. »Hildegard war eine Heilige, die es vermochte, selbst die aufsässigsten Dämonen zu vertreiben. Wie aber sollten wir, einfache Nonnen, es mit dem Teufel aufnehmen?«
»Ich glaube nicht an ein Werk des Teufels. Du selbst nahmst an, Adalbert wäre vergiftet worden – von Menschenhand«, erwiderte Elysa.
Margarete war sichtlich bemüht, ihrem Antlitz einen Ausdruck von Gleichmut zu geben, aber es gelang ihr nur mäßig. Indessen schien sie sich zu verschließen, presste die Lippen fest aufeinander, als wolle sie von nun an schweigen. Schon glaubte Elysa, sie wäre zu weit gegangen – was scherte sich eine Anwärterin um die Belange des Klosters –, dann aber nickte die Nonne. »Möglicherweise hast du recht.«
Behäbig erhob sie sich und schritt die östliche Wand ab, während sie leise zählte. Endlich schob sie ihre Finger in eine Ritze im Mauerwerk und förderte ein kleines leinenes Tuch zutage. Das Zittern hatte wieder begonnen und erfasste die Finger. Tränen rannen ihr über die Wangen. Wortlos hielt sie Elysa das Tuch hin.
Das Leinen war rau. Es war mehrfach gefaltet und schien etwas zu verhüllen. Vorsichtig schlug Elysa den Stoff auf, und was sie dort sah, verschlug ihr für einen Moment den Atem.
Das Pergament, das sie in den Händen hielt, war augenscheinlich sehr kostbar. Es war recht klein, nicht größer als die Fläche einer Hand. Der Rand war ausgefranst, als habe jemand mit Kraft an ihm gezerrt und es sodann in zwei Hälften gerissen. Elysa befühlte es vorsichtig mit den Fingern, strich über samtige, leicht getönte Haut, die feiner war als all die Häute, die sie bislang in Händen gehalten hatte. Wahrhaftig, mit diesem Pergament musste es etwas Bedeutsames auf sich haben.
Dann betrachtete sie das im Nichts verschwindende, feine und mit prachtvollen Farben gemalte Bild und ging näher zum Licht, um das Fragment einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. »Eine wundervolle Miniatur.«
Margarete nickte wortlos.
Elysa hielt das Pergament ein wenig höher, direkt vor das Feuer der Fackel, und versuchte, die zerrissene Schrift zu erkennen.
»… ne laberetur continebant. Et idem globus se aliquando sursum eleuauit et plurimus ignis … ita quod exinde … produxit «, las sie leise flüsternd. »… sie hielten, damit er nicht herunterfalle. Und dieselbe Kugel erhob sich einst empor und mehrfaches Feuer …« Sie hielt inne. »Es ist zu wenig, es ergibt keinen Sinn.«
Irritiert bemerkte sie feine braune Linien am Rande des
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