Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
worden und dann gemeuchelt?«
»Doch wäre er gemeuchelt worden, hätte er Male aufgewiesen.«
Gewiss, dachte Elysa, doch wer hätte sie entdecken sollen? Die Priorin etwa oder die Mönche, die Adalbert zurück in die Heimat führten? Vielleicht auch gab es etwas, das ihr den Blick verstellte und das sie noch nicht zu begreifen vermochte.
Ein toter Mönch, offenbar verwirrten Geistes, mit einem Stück Pergament, dessen Bedeutung noch im Dunkeln lag. Clemens von Hagen hatte vermutet, dass Adalbert bei seiner Ankunft die geheime Sprache Hildegards sprach, die Lingua Ignota . War es die verborgene Sprache des Pergaments?
Was war mit der anderen Toten, Elisabeth, die unter qualvollen Schmerzen gestorben war? Gab es einen Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen?
»Sprach Elisabeth auch jene Sprache, die der Mönch von sich gab?«
»Du fragst nach einer Sprache, ich glaubte, es wären nur wirre Worte.«
»Es könnte auch eine Sprache gewesen sein, das Pergament enthält sonderbare Schriftzeichen.«
»Nun, Otilie dachte, den Klang nordischer Pilger zu erkennen, doch Adalberts Heimat lag im Süden«, erklärte Margarete.
Elysa seufzte. Sie würde sich zu erkennen geben, erzählte sie von ihrem Wissen um die Lingua Ignota . Wusste Margarete von der Geheimsprache der Prophetin? Wie gerne würde sie sich der Nonne offenbaren.
»Und was ist mit der Novizinnenmeisterin? Hast du Elisabeth je eine andere Sprache sprechen hören?«
Margarete verneinte vehement. »Niemals. Gewiss, Elisabeth war eine gute Nonne, still und ehrfürchtig, aber ich habe nie verstehen können, wie die Priorin eine derart einfältige Person für die Unterweisung der Novizinnen berufen konnte.«
»Einfältig?«
»Ja, zwar war Elisabeth des Lesens mächtig, nicht aber des Schreibens. Wenn sich ihre Gedanken nicht in Kontemplation versenkten, dachte sie nur ans Essen. Rund war sie und maßlos, befreundete sich mit Ermilindis, der Celleraria, und nahm heimlich, was die anderen liegen ließen.« Margarete zögerte kurz und setzte hinzu: »Die Maßlosigkeit ist ein schlimmes Laster, das alles an sich reißt, um es zu verschlingen. Nun hat der Teufel, die alte Schlange, sich ihrer angenommen. Gott sei ihrer Seele gnädig.«
Elysa runzelte die Stirn. »Nicht der Teufel, ehrwürdige Schwester. Ein allzu menschliches Wesen möchte uns glauben machen, es geschähe etwas, das außerhalb unserer Macht läge. Und ich komme nicht umhin zu mutmaßen, dass jemand in diesem Kloster genau weiß, was er tut.«
Margarete stöhnte leise auf. In ihrem Blick lag Bestürzung, nein, es war der Atem der Angst, der von ihr Besitz ergriffen hatte. »Ich habe ihn gefunden, Elysa, ich habe etwas genommen, das er im Kampf mit dem Tod fest umklammert hielt.« Hastignahm sie das Pergament wieder an sich und hüllte es in das Tuch. »Ich muss es der Priorin geben und beichten, sonst sind wir alle verloren.«
»Tu es nicht, Margarete. Dieses Pergament könnte der Schlüssel zu all den Vorgängen sein.«
Vehement schüttelte Margarete den Kopf. »Siehst du es denn nicht, Elysa? Seit der Mönch dieses Kloster betrat, hat sich die Zeit verändert. Die Elemente sind gewandelt, ja, entfesselt! Seit ich denken kann, hat es solche Winde nicht gegeben. Sie sind voller Kraft und Zerstörungswut.« Margaretes Stimme wurde flehend. »Der Mensch hat die Gebote des Schöpfers missachtet, die Elemente werden aufsässig und bringen Verderbnis, denn in dieser Zeit geht die Gerechtigkeit zugrunde. Es ist allein meine Schuld, und ich werde es wiedergutmachen!«
»Margarete, ich bitte dich. Die Elemente wandeln sich seit Adams Fall. Nun sind sie entfesselt, aber nicht durch dein Tun.« Elysa dachte an ihre eigene Angst und an die Eindringlichkeit, mit der Clemens von Hagen sie hatte überzeugen können. »Jemand anderes hat die Sünde begangen, und dieses Pergament könnte helfen, die Wahrheit zu offenbaren. Oder glaubst du wirklich, Adalbert war derjenige, der dem Kloster schaden wollte?«
Die Nonne wiegte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Elysa. Nein, Adalbert war ein guter Mönch, er genoss das Vertrauen der Meisterin.«
»Dann hatte es einen Grund, warum ihm das Pergament so wichtig war, dass er es in der Stunde des Todes umklammerte.«
»Woher kannst du dir so sicher sein?«, fragte die Nonne.
»Die Wahrheit zeigt sich erst in der Untersuchung. Margarete, wir müssen annehmen, dass Adalbert dem Pergament einen Wert beimaß, der uns noch verschlossen ist. Bevor du es der Priorin
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