Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
übergibst, sollten wir da nicht versuchen, sein Geheimnis zu entschlüsseln?«
Margarete setzte zu einer Antwort an. Ein plötzliches Geräusch ließ sie aufschrecken. Es war nur ein leises Klacken, doch in der Stille der Krypta war es derart durchdringend, dass Elysa den Atem anhielt.
»Still«, zischte sie.
Margarete erstarrte. »Was hast du?«
Elysa lauschte angestrengt. Das Geräusch war verschwunden. Hatte der Wind sie getäuscht?
Dann hörte sie es wieder. Jetzt wurde es lauter und kam immer näher. Es war das Geräusch eines Stabes, der auf den Boden schlug. Ida.
Auch Margarete hatte es gehört, ihr Gesicht verriet eine Furchtsamkeit, die Elysa bereits am Nachmittag im Handwerksraum bemerkt hatte.
»Rasch, lösch die Fackel!«
Margarete aber blieb regungslos stehen, das Leinen fest umkrallt.
Mit einem Satz war Elysa bei der Fackel, riss sie aus dem Halter und warf sie zu Boden. Dann wurde es dunkel.
8
G estrüpp peitschte in sein Gesicht. Die Hände auf dem Rücken mit einem Strick verknotet, hatte Clemens von Hagen angesichts seines schmerzenden Beins nur mit Mühe sein Gleichgewicht halten können. Immer wieder war er gestürzt, bis man ihm einen Stock durch die Öffnung der zurückgebundenen Arme gesteckt hatte. Nun schleifte man ihn erbarmungslos über den Boden.
Die Männer lachten und riefen sich etwas in der Sprache der Landleute zu, die Clemens nicht verstehen konnte. Laut und barbarisch klang sie in seinen Ohren.
Er hätte es wissen müssen. Warum nur war er das Risiko eingegangen? Die pauperes zogen zuhauf durch die Wälder. Arme Menschen, die raubten und mordeten, selbst die eigenen Leute, wenn es ihnen ein Stück Brot versprach. Das Pferd würde ihnen ein willkommener Festschmaus werden, da war sich Clemens sicher, und es nähme ihm jegliche Gelegenheit zur Flucht.
Sein Körper schrammte über unwegsames Gelände. Begannen seine Sinne bereits zu schwinden? Er dachte an seine Mission und daran, dass er sie nicht mehr würde erfüllen können.
Eine tiefe Trauer überkam ihn. Hatte er versagt? Hatte ihn sein Großonkel überschätzt, als er ihn beiseitenahm, damals auf dem Rupertsberg?
»Etwas geht vor in dem Kloster«, hatte Heinrich geflüstert, einalter faltiger Mann, aber kräftig und mit klarem Verstand. Clemens hörte die Worte deutlich, so als wären sie soeben gesagt worden. »Die Prophetin ist beunruhigt, und ich bin es auch.«
»Warum? Ist es wegen der spitzfindigen theologischen Fragen der Villerenser Mönche?« Clemens war damals noch jung gewesen, unbedarft, den Blick mehr auf die herrlichen Frühlingsblumen gerichtet, das Gesicht in der Sonne. Sie hatten im Kreuzgarten gesessen, dessen Beete gerade ihre Pracht entfalteten.
»Es ist etwas weit Bedeutsameres«, hatte Heinrich geantwortet und seine Stimme gesenkt, so dass Clemens sich zu ihm beugen musste, um ihn zu verstehen.
»Hildegard hatte eine Vision. Anders als diejenigen, die sie sonst in ihre Wachstafeln ritzt. Es geht um eine Zeit, die erst kommen wird.«
»Die Endzeit?«
Heinrich hatte unschlüssig den Kopf gewiegt. »Etwas Furchtbares wird geschehen, aber es scheint abwendbar. Hildegard weiß, dass sie in absehbarer Zeit den Weg ins königliche Himmelsreich antreten wird. Sie ist eine Greisin, beinahe achtzig, ein wahrlich biblisches Alter. Und doch wurde ihr etwas aufgetragen, das sie selbst nicht mehr ausführen kann.«
»Was sollte das sein?« Mit einem Schlag war Clemens’ Neugierde erwacht.
Sein Großonkel hatte jedoch nur den Kopf geschüttelt. »Ich weiß es nicht. Und dennoch: Wenn die Zeichen der Endzeit nahen und der Papst zur Reise zum heiligen Grab aufruft, dann sei gewappnet und stelle dich in den Dienst Gottes und seiner Prophetin.« Er hatte seine Hände gefaltet. »Die Meisterin will die Vision noch nicht kundtun, so, wie es ihr aufgetragen wurde, aber sie wird Vorkehrungen treffen. Und doch weiß ich, dass es Menschen gibt, die ihr die Gabe der inneren Schau und ihre Verbundenheit mit dem Herrn neiden, denn auch unter uns gibt esSchlangen. Und obwohl ich nicht weiß, was Hildegard gesehen hat, so konnte ich in Erfahrung bringen, dass Vorsicht geboten ist, denn der Teufel kommt, um die Christenheit zu verderben.« Sein Großonkel hatte ihn streng und gleichzeitig voller Hoffnung angesehen. »Du, Clemens, solltest dich bereitmachen. Wenn etwas passiert, das dir Gewissheit gibt, dann schreite ein.«
Noch in diesem Moment, während der Boden an seinen Gewändern riss, erinnerte sich der
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