Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
»Was weißt du davon?«
»Ich war zufällig zugegen, als Wilhelm von Bliesen aus der erzbischöflichen Kanzlei unseren Propst aufsuchte und aufs Heftigste tadelte. Er hat behauptet, du hättest einen Brief gefälscht und mit dem Siegel des Erzbischofs versehen. Ich nehme an, er sprach die Unwahrheit?«
»Nein.« Clemens seufzte ahnungsvoll. »So hat die Priorin einen weiteren Boten nach Mainz geschickt?«
»Nicht die Priorin – Radulf von Braunshorn.«
»Radulf von Braunshorn?« Eine plötzliche Erkenntnis durchzuckte Clemens. »Radulf von Braunshorn ist in Eibingen?«
Gottfried nickte. »Soweit ich es mit meinem offenbar einfältigen Gemüt zu begreifen vermag, empfand es die Kanzlei als erforderlich, ihn nach Eibingen zu entsenden, kurz nachdem du abgereist warst.«
Clemens atmete heftig. »Ich hatte es vermutet. Wie viel weißt du von den Vorgängen im Kloster?«
»Es hatte wohl einen Kirchenbrand gegeben.«
»Ja. Einen Brand, der leicht das gesamte Kloster hätte zerstören können. Außerdem ist ein Mönch, der zu Gast war, ermordet worden. Eine Nonne starb unter furchtbaren Krämpfen, und auch die Reliquien der seligen Äbtissin vom Rupertsberg wurden entwendet.«
Gottfried verstand nicht. »Clemens, die gesamte erzbischöfliche Kanzlei ist alarmiert, die Prälaten dort ereifern sich, als gälte es, den Papst persönlich zu retten. In diesen Zeiten entfachen sich immer wieder Feuer und zerstören auch Kirchen. Selbst der Mainzer Dom hat bereits mehrfach gebrannt. Mönche und Nonnen werden überall im Reich in den Klöstern ermordet, sei es aus Habgier, Rachsucht oder sonstigen Erdreistungen menschlicher Natur.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich will das Schicksal des Klosters gewiss nicht mindern, aber was ist der Grund für diesen Aufruhr? Radulf von Braunshorn, einst päpstlicher Legat in Rom, ist unserem Kaiser stets zu Diensten, vom Erzbischof Konrad ganz zu schweigen. Einer der ehrgeizigsten und aufstrebendsten Kirchenmänner des Reiches wird in ein armseliges Kloster geschickt, um dort die verirrten Seelen einiger Jungfrauen zu retten! Was in Gottes Namen steckt dahinter?«
»Das ist dein Eindruck?«
»In der Tat.«
»So hatte ich recht. Wir stechen in ein Wespennest, lieber Gottfried.« Clemens lächelte verhalten. Bedächtig nahm er das Tuch von seinem Bein, den stechenden Schmerz ignorierend, wusch es im warmen Wein und legte es erneut auf die Wunde. »Wer weiß noch davon?«
»Von unserem Stift nur der Propst und ich. Wie viele Prälaten des Erzstiftes weiß nur der Herr, doch ich bin mir sicher, dass sie dich allesamt verfluchen und vom Propst deine Abberufung fordern. Auch für unser Stift könnte es Konsequenzen haben, vielleicht ist sogar unsere hohe Bewegungsfreiheit bedroht. Man fürchtet um uns als tragenden Pfeiler der erzbischöflichen Stadtherrschaft. Die lange Tradition der Einbindung unseres Propstes in Verwaltung und Regierung wurde von Wilhelm von Bliesen offen in Frage gestellt, denn es schien ihm, als wollten wir eigenmächtig und vermessen Obliegenheiten entscheiden, die der Aufsicht des Erzstifts unterliegen.«
»Sie machen den Propst für meine Eigenmächtigkeit verantwortlich?«
»Ja. Unser Vorsteher hielt dagegen, dass er wegen der Ausführung seiner Amtspflichten nur selten zugegen ist. Doch Wilhelm von Bliesen legte ihm nahe, dem Dekan die Ausübung der Disziplinargewalt vollends zu überlassen und das Wirken des Kapitels auf die Verwaltung der Dekanate zu beschränken, was er sogleich eifrig zusicherte. Dem Boten jedenfalls wurde ein Schreiben mitgegeben, in dem deine Befugnis mit aller Ausdrücklichkeit als nichtig erkannt wird. Zudem werden sie die Adelige ersuchen, das Kloster auf der Stelle zu verlassen.«
»Wann war das?«
»Vor wenigen Stunden. Was wirst du also tun?«
Clemens nahm rasch das Tuch vom Bein und verband es mit einem frischen. Dann erhob er sich.
»Ich werde sofort nach Eibingen aufbrechen.«
Gottfried sah ihn fassungslos an. »Du willst wieder fort? Willst du dich nicht dem Propst erklären?«
Clemens schüttelte heftig den Kopf. »Ich muss dem Boten zuvorkommen.«
»Dem Boten?« Auf Gottfrieds Antlitz erschien ein Lächeln. »Ich werde dir verraten, wo sich der Bote jetzt befindet. Doch zunächst erkläre mir, was hier vorgeht.«
3. TEIL
Während der Menschenmord in Blutgier knirscht, werden himmlische Gerichtsurteile zur Bestrafung in Bewegung gesetzt, so dass die Blitze dem Donner zuvorkommen, denn das Feuer verspürt die erste
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