Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Kreuzzügen zuvor geschehen war?«
»Dieses Mal irrst du. Der Kreuzfahrer reist als Büßer, als einfacher Pilger, nicht zur Vernichtung, wohl aber um jenes Land zu schützen, in dem der Sohn Gottes die Marter des Kreuzes ertrug. Er nimmt die Mühen dieser Reise mit reumütigem Herzen und demütigem Sinn auf sich, im aufrichtigen Glauben. Auch steht diesem Kreuzzug Kaiser Friedrich Barbarossa vor. Er ist als Feldherr erfahren und vermag, seine Mannen im Zaum zu halten.«
»Doch auch die Flut einfacher Menschen, die sich dem Zug anschließen und sich mit Keule und Beil bewaffnet auf den Weg machen?« Clemens hatte heftig den Kopf geschüttelt. »Und bedenke, dass sich mit dem Kaiser ein Mann an die Spitze einer geheiligten Sache stellt, der nur wenige Jahre zuvor den Papst als Erfüllungsgehilfen tituliert hat und die christliche Welt mit drei aufeinander folgenden Gegenpäpsten spaltete.«
»Das ist lange her. Friedrich ist müde geworden und ergibt sich eher den Pflichten der Repräsentation.«
»Du redest von einem Mann, der seit jeher im Verlangen brennt, sich Rom und das gesamte Römische Reich zu unterwerfen. Der die volle Macht über Rom einforderte, unter Ausschluss und Missachtung der päpstlichen Hoheitsrechte. Hast duvergessen, dass er einst auf dem Konzil von Pavia das Recht der Mitentscheidung der Papstfrage für sich beanspruchte?«
»Du warst noch ein Kind zu dieser Zeit.«
»Doch wachen Geistes, denn mein Großonkel lehrte mich bereits früh, die Zusammenhänge zu sehen. Und nun überdenke, was du Repräsentationspflichten nennst, obgleich sich der Kaiser herausnimmt, die Bischöfe mit der Regalieninvestitur noch vor der Weihe des Papstes zu erheben.«
Sie hatten alsbald das Thema gewechselt, bevor der Disput allzu hitzig werden konnte, und die Schreibstube verlassen, um dem schlafenden Boten den vertauschten Brief zuzustecken. Nun würde der Exorzist von Clemens’ außerordentlicher Befähigung erfahren und der Echtheit des Briefes, den er der Priorin überreicht hatte.
Radulf von Braunshorn, Gesandter des Teufels. Als Clemens erfahren hatte, dass man ihn nach Eibingen geschickt hatte, war ihm augenblicklich deutlich geworden, wer die Schlangen waren, die sich der Vision bemächtigen wollten. Von Beginn an hatte er die Vermutung gehabt, dass es hohe Kirchenfürsten waren, die das Wort der Prophetin fürchteten. Doch warum? Was enthielt die letzte Botschaft, und woher wussten sie von dessen Inhalt, dass sie einen Mönch folterten, um ihre Verbreitung zu verhindern? Um das zu erfahren, musste er zum Rupertsberg. Je länger er nachdachte, desto sicherer erschien es ihm, dass dort die Verschwörung ihren Lauf nahm.
Doch auch in Eibingen lagen einige Dinge im Dunkeln.
Hastig verdrängte der Kanonikus das schmerzhafte Gefühl der Sorge um Elysa von Bergheim, deren Wesen sein Herz auf eigentümliche Weise berührt hatte. Er hoffte, dass sie bei ihren Ermittlungen vorsichtig vorging. Die Prälaten waren in die Vorfälle verstrickt, soviel war gewiss, doch sie waren in jenen Tagen nicht zugegen gewesen, als der Mönch gestorben war und die Kirchegebrannt hatte. Es musste jemanden im Kloster geben, der ihnen in die Hände spielte.
Clemens waren nur noch wenige Stunden Schlaf vergönnt gewesen, die er in Gottfrieds Tageswohnung in einem der Häuser am Stephansberg verbrachte, um den anderen Stiftsherren nicht zu begegnen.
Noch bevor der Tag die Nacht vollends verdrängte, hatte er sich erhoben und war hinkend zu den Ställen gegangen, um sich, kaum erfrischt, doch in sauberer Kleidung und mit sorgfältig verbundenem Bein, auf den Weg zum Rupertsberg zu machen.
3
W ie lange schon hatte die Schicksalsmacht der Fortuna sie verlassen? Wie sollte sie nun ohne Gregorius’ Hilfe ihre Truhen finden und den Weg zur Burg antreten?
Niedergedrückt überquerte Elysa den Klosterhof, als im nächsten Augenblick die Laudes vorüber war und die Nonnen aus dem Westportal der Kirche strömten. Unter ihnen war Margarete, die sich verspätet in den Nonnenchor geschlichen haben musste.
Margaretes Antlitz leuchtete auf, erleichtert und zugleich fragend, als sie ihrer ansichtig wurde. Elysa eilte zu ihr, die Stufen der Kirche empor, auf denen sich die Nonnen nun aufstellten, als erwarteten sie eine Prozession.
»Warum bist du noch hier?«, flüsterte Margarete.
»Der Laienbruder ist fort, und ohne seine Hilfe kann ich nicht gehen«, erklärte Elysa resigniert. »Aber so Gott will, erinnert er sich seines
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