Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
erwiderte Jutta. »Denn er strebt mit seinem Höhenflug nicht zur Gerechtigkeit, sondern ist auf Betrug und Täuschung aus. Du suchtest nicht das Gelübde, die Verbindung zum Herrn, sondern maßtest dir an, uns in unserer Gutgläubigkeit zu hintergehen.« Juttas Antlitz zeigte Gleichmut, doch die geballten Hände verrieten, was sie dachte. »Hildegard sah einst ein gewaltiges Feuer, das mit starker Glut brannte. Darin wimmelte eine riesige Menge schrecklicher Würmer. In diesem Feuer wurden die Seelen derjenigen betraft, die sich mit Wort und Tat dem Hochmut ausgeliefert hatten, als sie noch mit dieser Welt verhaftet waren. Sie wurden wegen ihres Hochmuts mit dem Feuer und wegen ihrer üblen Angeberei von den Würmern geplagt.« Die Medica wandte sich ab, drehte sich aber noch einmal um, nun mit erhitztem Gesicht. »Warum sollten wir uns an den Vorgängen ereifern oder sie gar in Aufklärung zu ändern suchen? Warum sollte ich mich nicht freuen, wenn mir irgendeiner auch noch so ein schreckliches Unrecht zufügen würde. Der Schöpfer selbst ist ja vom Himmel herabgestiegen, um den Menschen in seine Arme zu schließen. Daher kann kein Sturm mich erschüttern, weil ich in voller Güte mit Gott verbunden bin.«
Da war sie wieder, jene Ergebenheit, mit der die Nonnen dem Bösen die andere Wange hinhielten und ihm Tür und Tor öffneten. Elysa spürte eine heftige Wut in sich aufsteigen. »Du redest von Demut, während sich jemand daranmacht, euch willentlich zu schaden, was ihr wohl erkennt, doch nicht wahrhaben wollt. Ihr rudert in der schiffbrüchigen Welt und schwindet dahin in den Schwächungen großer Gefahren, untätig und still. Verbergt euren Mut hinter Demut und Hörigkeit und glaubt, dem Herrn zu gefallen. Gott aber liebt auch den Streiter, der sich gegen das Unrechterhebt und es wagt, der alten Schlange ins Gesicht zu sehen. Zu Lebzeiten wäre die von euch so verehrte Hildegard aufgestanden, hätte euch geschüttelt und zugerufen: ›Auf, Schwestern, die Zeit des Dämmerns ist vorbei!‹« Elysa hob resigniert die Schultern. Das Reden strengte sie an, und sie spürte, wie die soeben wiedergewonnenen Kräfte rasch wieder schwanden. Schwerfällig stand sie von ihrem Platz beim Ofen auf und legte sich zurück auf das Lager. »Aber genug davon! Im Morgengrauen, wenn ich wieder bei Kräften bin, werde ich mich auf den Weg nach Hause machen, und ich bitte euch inständig, eure Lippen zu verschließen, bis ich fort bin.«
Damit lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und ließ die beiden Nonnen mit ihren Gedanken alleine.
16
N och immer vermochte Ida nicht verstehen, was ihr geschah. Die Knie gebeugt vor dem Altar des heiligen Rupertus, dem Schutzpatron des Mutterklosters, rang sie die Hände und bat um Hilfe und Erlösung.
»Horch auf, Himmel, denn mein Antlitz ist besudelt. Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel des Himmels ihre Nester, ich aber habe keinen Helfer und Tröster, nur einen Stab, auf den ich mich stützen kann und der mein einziger Halt ist!«
Das Wasser des Regens drang vom überschwemmten Steinboden in ihren Wollhabit, kalt umfasste es Füße, Beine, Knie. Doch Ida wollte es nicht spüren.
Es war ihnen nicht um die Kräfte gegangen, die das Feuer verstummen ließen. Nein, man hatte sie vor allen gedemütigt für eine Sünde, die in diesem Sündenpfuhl doch nur wenig wog. Was waren schon Eigenwille und Strenge gegen die Laster der Zwietracht, der Vergnügungssucht und der Gottlosigkeit. Was gegen die Streitsucht, die Maßlosigkeit und den Ungehorsam der immerzu schwatzenden und schamlosen Nonnen?
Und was war mit der Feigheit? Ida hatte sie deutlich im Raum gerochen, als Radulf von Braunshorn sich erdreistete, sie mit den Worten der seligen Hildegard zu maßregeln.
Sie atmete schwer. Nicht das bevorstehende Gottesurteil machte ihr Angst. Gott war mit ihr, das würde allen deutlich werden,ja, fast freute sie sich auf den nahen Triumph, der die Stimmen der Kläger verstummen lassen würde. Es war etwas anderes, das ihr auf der Seele lastete. Nun, da sie vor aller Augen für die Zucht getadelt wurde, würden die Sitten verfallen, und all das, was die selige Meisterin mit gestrengem Auge erschaffen hatte, würde einstürzen.
»Wollte daher jemand in die Schar meiner Töchter Zwietracht säen oder ein Verlassen der geistlichen Zucht herbeiführen, so möge die Gabe des Heiligen Geistes das aus seinem Herzen vertreiben. Sollte er, Gott verachtend, dennoch so handeln, so möge die Hand
Weitere Kostenlose Bücher