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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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nach dem Schemel, der vor dem Schreibpult stehen musste. Ihre Beine vermochten sie nicht länger zu tragen, die ganze Nacht war sie wach gewesen, durch die Gänge gewandelt, im Gebet versunken, um ein mildes Urteil flehend. Sie musste sich ausruhen.
    Ihre Finger strichen über das grobe Holz des Pultes, erinnerten sie an die Zeit, als sie noch im Rupertsberger Skriptorium gearbeitet hatte, dann fanden sie den Schemel.
    Ida setzte sich und legte die verbundenen Hände auf das Pult. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass die Verbrennung zwar stark genug war, die Handflächen ihres Tastsinnes zu berauben, nicht aber die Fingerkuppen, die sich nun mit dem Holz zu verbinden schienen.
    Rasch glitten sie über das Pult, spürten die Vertiefungen im Holz, in dem feine Federn lagen und ein Bimsstein zum Glätten von Pergament. Am Rande das Horn mit der Tinte, eingelassen in ein vorgefertigtes Loch im Tisch.
    Von hier aus schrieb Agnes ihre Briefe. Ida wusste, dass der Priorin der Kontakt mit der Welt draußen mehr bedeutete als der mit den Nonnen ihres Konvents.
    Auf dem Pult lag ein Pergament. Jetzt, da Ida es mit den Fingern befühlte, erkannte sie, dass es nicht mehr war als eine abgerissene Ecke, nicht größer als die Fläche einer Hand.
    Hatte Agnes es zerrissen, aus Wut über eine missglückte Formulierung? Doch besaß Eibingen derart feines Pergament?
    Schritte erklangen, wurden immer lauter. Ida erkannte den Gang von Agnes. Harsch und selbstgewiss. Hastig schob sie das Fragment von sich, erhob sich vom Schemel und stellte sich an die Fensteröffnung, mit dem Rücken zur Tür.
    »Ida? Ida! Wo hast du gesteckt?« Es brach aus Agnes heraus. Ida vernahm Erleichterung in der Stimme, aber auch Furcht.
    »Ich muss mit dir reden«, antwortete die blinde Nonne.
    »Wir müssen zunächst zum Exorzisten, er glaubt, du wärest gegangen, um dich dem Urteil zu entziehen.«
    »Er weiß, dass dem nicht so ist.«
    »Woher soll er es wissen? Ida, du warst ungehorsam. Radulf von Braunshorn hatte angewiesen, dich in der Krankenstube zubelassen, bis drei Tage verstrichen sind und die Wunden erneut beurteilt werden können.«
    »Die Wunden bedürfen keiner weiteren Beurteilung. Das Gottesurteil ist gesprochen.«
    »Ida, mäßige dich. Du verfällst dem Starrsinn. Vergiss nicht, dass es der Hochmut war, der deine Augen schlug.«
    »Radulf von Braunshorn ist derjenige, dem der Hochmut anhängt. Und die Ruhmsucht. In Ruhmsucht erhebt er sich selbst über Gott, führt seine eigenen Begierden mit grausamer Diktion ans Ziel.« Ida spie die Worte aus und drehte sich zur Priorin.
    »Radulf von Braunshorn ist ein gottesfürchtiger Mann. Streng zwar, aber ausgestattet mit den Insignien der Macht. Einst war er päpstlicher Legat, verbrachte viele Jahre in Rom. Die Kardinäle sehen ihn als einen von ihnen, und auch unser Erzbischof Konrad schenkte ihm sein Vertrauen.«
    »Er ist der Teufel, ich sah es in wahrer Schau!«
    »Der Teufel? Du musst dich irren!« Agnes klang gefasst, doch Ida hörte das fast unmerkliche Zittern.
    »Eine Bilderflut stürzte hinab, als ich heute in der Kirche mein Gesicht gen Himmel erhob. Ich erkannte den Allmächtigen auf dem Thron, und mir wurde gewahr, dass der Teufel in Gestalt des Exorzisten ins Kloster kam, und solange wir ihm nicht Einhalt gebieten, wird das Böse nicht gehen.«
    »Nein, nein, du redest im Wahn. Er kam erst, nachdem der Mönch ermordet worden war. Wie sollte er das Feuer entzünden, das unsere Kirche heimsuchte?«
    Ida senkte den Kopf. Sollte sie der Priorin alles erzählen? »Ich gestehe, der Blick war begrenzt. Doch in Erinnerung dessen, was ich sah, sage ich dir, Agnes: Weiche von deinem Wege ab, denn du dienst dem falschen Herrn.«
    Agnes entfuhr ein Schrei. »Wage es nicht«, ereiferte sie sich mit schriller Stimme. »Wage es nicht, den Bogen gegen mich zu spannenoder gegen Radulf von Braunshorn, dem Abgesandten Gottes. Ja, dein Blick war begrenzt, und deine Botschaft ist trügerisch. Wie willst du erkennen, wer der wahre Herr ist? Wir sollten dem Allmächtigen danken, dass er uns diesen ehrwürdigen Priester zur Seite stellt. Uns und unserem armseligen Kloster, das es nicht länger verdient, Wohnstatt der Bräute Christi zu sein.«
    Ida merkte auf. »Du sprichst von einem Ort, der von der seligen Hildegard neu erbaut wurde.«
    »Er ist entweiht.« Agnes schrie es fast, ihre Stimme zitterte. »Während du dich im Dunkel meiner Zelle verbargst, heimlich und ohne Zustimmung, warf die Oblatin Anna

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