Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
sprang auf, rot im Gesicht. »Euer Gedächtnis ist nicht das allerbeste«, höhnte er. »Soll ich Euch erinnern? Hildegard von Bingen warf uns vor, dem Lügengeschwätz und der Bosheit des Teufels verfallen zu sein, als wir ihrem Kloster verboten, den Lobpreis Gottes zu singen. Da war kein Einsehen, dass sie gegen das Gesetz der Kirche verstoßen hatte, als sie einen exkommunizierten Edelmann in geweihter Erde begrub, nein, sie führte unser Urteil auf böse Einflüsterungen zurück, auf unreine Gedanken und ungerechte Unterdrückung aus dem Munde der Kirche.« Er trat einen hastigen Schritt auf Gottfried zu, als wolle er sich auf ihn stürzen. »Sie hat uns angeklagt, ebenso wie den Klerus in Köln. Eine Frau, die es wagte, in aller Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen und es gegen Kirchenfürsten zu schleudern. Und damit nicht genug! Auch den Kaiser maßregelte sie. Was also glaubt Ihr, werden die letzten Worte einer greisen Frau sein, deren Geist umnebelt war und deren Worte längst ausdem eigenen Herzen kamen, nicht aber vom hellstrahlenden Licht?«
Der Magister war zu ihnen getreten und hatte Wilhelm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter gelegt. »Nun, lieber Gottfried, Ihr werdet einsehen, dass gerade jetzt, wo der Kaiser darum bemüht ist, den Frieden im Reich zu konsolidieren, um für die Dauer seiner Abwesenheit keine Konflikte entstehen zu lassen, eine weitere, zudem haltlose Anklage nur unnötige Unruhe brächte.«
Der Magister hatte Gottfried zur Tür begleitet, ihm einen Beutel Silberlinge in die Hand gedrückt und ihn aus der Kanzlei entlassen, nicht ohne sich noch einmal für Wilhelms Ausbruch zu entschuldigen.
Gottfried drängte zum Domplatz hinaus, mitten in das Getümmel des Marktes, wo Bauern und Händler begannen, ihre Stände abzubauen.
Gottfried dachte an das Gespräch in der Kanzlei, er kam nicht umhin, dass Wilhelm ihm nicht den wahren Grund für den Aufruhr genannt hatte. Doch es war nun einerlei.
Der Beutel wog schwer in der Hand. Gottfried nahm ihn an der Schlaufe und befestigte ihn mit spitzen Fingern an seinem Gürtel, Lohn des Verrats. Verflucht sei er, dachte er, während er sich durch die engen Gassen trieb, in denen sich die Menschen im Gedränge aneinanderpressten, stinkend und voller Schmutz, um einem Schauspieler bei seinen Künsten zuzusehen. Gottfried merkte nicht, wie ein kleiner verlumpter Junge sich auf seine Fersen heftete, ihm im Gedränge der Menschen näher kam und ihm den Beutel mit einer schnellen Bewegung entriss.
13
D er Weg führte bergan, weg vom Morast des Rheinufers. Nun war auch die Straße passierbar, wenngleich sie an vielen Stellen aufgerissen war, ihrer kostbaren Steine beraubt, die man anderswo zum Bau eines Hauses verwendete.
Noch immer tobte das Gewitter, die Wolken hingen tief, der Regen schlug Clemens ins Gesicht.
Das Pferd schnaubte schwer, Clemens trieb es an. Hinter der Kuppe dieses Berges lag die Nahe und an ihrer gegenüberliegenden Seite das Kloster Rupertsberg.
Clemens lächelte, eine unbändige Freude erfüllte sein Herz. Sein Blick wurde unaufmerksam, und so bemerkte er nicht das Loch auf dem Weg. Ungehindert trat das Pferd hinein, knickte ein und stürzte nach vorne. Ein heißer Schmerz durchzuckte das verletzte Bein, als Clemens hart zu Boden fiel.
Hastig stand er auf, ignorierte das Blut, das den Verband tränkte und das Beinkleid färbte, und nahm sein Pferd am Zügel. Doch es vermochte nicht aufzustehen. So sehr sich das Tier auch bemühte, es strauchelte immer wieder.
Clemens kniete sich nieder und befühlte den rechten Vorderhuf, die Fessel, das Bein. Es war gebrochen. Das zweite Pferd, das er auf seiner Reise verlor! Wie sollte er seine Reise ohne dieses kostbare Tier fortsetzen?
Hadernd blickte er zum Himmel. Das Pferd litt, daher war esseine Pflicht, das Leid mit dem harten Schlag eines Steines zu beenden. Mit zitternden Händen hob Clemens einen Stein hoch in die Luft, doch er ließ ihn fallen und sah ihm nach, wie er polternd den Hang hinunterfiel.
Was sollte er tun? Ließ er das Pferd liegen, würden Bären und Wölfe über es herfallen. Wenn aber der Herr sich gnädig erwies, konnte es eine hungrige Familie, die dem Wald kaum noch Nahrhaftes zu entlocken vermochte, über den Winter retten.
Clemens sah sich um. Die Straße, sonst von Händlern, Pilgern und Reisenden bevölkert, war verlassen. Das furchtbare Gewitter hatte die Menschen erschreckt.
Clemens klopfte dem Pferd auf den Hals, spürte den warmen Atem
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