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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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seiner Nüstern. Er musste es verlassen, weiterziehen, nach vorne blicken, nicht zurück. Den Weg fortsetzen, stolpernd und mit verletztem Bein. Auch wenn er das Kloster erst bei Anbruch der Dunkelheit erreichte – er würde es schaffen, das war gewiss, er musste es schaffen.
    Am Wegesrand fand er einen starken Ast, den der Sturm vom Baume gerissen hatte. Er schulterte seinen Proviantbeutel und ging langsam weiter, den bewaldeten Berg hinauf.
    Der stechende Schmerz überwältigte ihn, daher verfiel er in lautes Beten, schritt die Psalmen rezitierend voran.
    Endlich, als er beim 28. Psalm angelangt war und die Bitte um Verschonung sang, erklomm er die Kuppe.
    Ein weiter Blick tat sich ihm auf, und es war ihm, als erstarre sein Herz in Ehrfurcht. Vor ihm, inmitten bewaldeter Berge, breitete sich das Tal aus, das von der Nahe durchzogen wurde, bis sie weiter nördlich in den Rhein mündete. Unterhalb, am diesseitigen Ufer lag Bingen, das Zentrum des erblühenden Handels und Knotenpunkt der Verkehrswege.
    Der Stadt gegenüber jedoch, am anderen Ufer der Nahe, erblickte Clemens das Kloster Rupertsberg. Hoch und mächtigtürmte sich der vorspringende Chor der dreischiffigen Abteikirche empor, flankiert von zwei viergeschossigen Türmen. Darüber der Ostgiebel, versehen mit steigendem Bogenfries. Prachtvoller Gottesbau und doch frei von üppiger Verzierung, schlicht und eindrucksvoll zugleich.
    In seine Freude mischte sich Besorgnis, als er sah, wie hoch die Wasser an das Plateau gestiegen waren, auf dem die Abteikirche stand und wie sie die Stämme der ufernahen Bäume mannshoch bedeckten. Die weiter nördlich gelegene Nikolauskapelle war bereits von Wassern umspült.
    Den Schmerz ignorierend eilte er voran, rutschte fast, den Hügel hinab bis in den Ort. Er sah nicht die Menschen, die sich angesichts seines schmutzigen Gewandes von ihm abkehrten. Nicht die Kinder, die ihn neugierig musterten und Steine hoben, um sie nach ihm zu werfen, doch sogleich sinken ließen, als er wieder begann zu rezitieren. Er roch nicht das Feuer der rußigen Öfen, den Gestank des vergangenen Markttages, den alten Fisch, der achtlos auf dem Boden lag, den beißenden Geruch von Harn.
    So schnell ihn die Füße trugen, humpelte er die Gassen entlang, auf den Stock gestützt, an der St. Martinskirche vorbei und zum Stadttor hinaus, weiter zur Brücke, die ihn über die Nahe bringen würde, zum Rupertsberg, seinem Ziel.

14
    E lysa fand Margarete in der Kirche. Sie war nicht alleine. Gemeinsam mit der Novizin Sibille kniete sie vor dem Altar des heiligen Rupertus, der ihr offenbar nun, da das Bildnis der seligen Hildegard noch immer im Glockenturm stand, als Trost und Ersatz diente.
    Elysa kniete sich daneben, faltete die Hände und wandte den Blick zum Tafelbild des heiligen Rupertus, Schutzpatron des Mutterklosters, dessen Antlitz sich mit ernstem Ausdruck zum Hauptaltar hinwandte und voller Schmerz und Nächstenliebe erfüllt zu sein schien.
    »Ich muss dich sprechen«, wisperte sie in Margaretes Richtung.
    Margarete sah erstaunt auf, nickte dann aber und erhob sich. Als sie zum Südportal hinaus in den Kreuzgang traten, stob ihnen eisiger Wind entgegen.
    »Ich war vorhin bei Ermelindis und befragte sie zur Zubereitung des Geflügels, das sie Kranken zur Stärkung zu geben pflegt«, begann Elysa, während sie den Kreuzhof langsam umrundeten. »Ich glaube nicht, dass sie das Gift beimischte, denn sie sprach offen und ohne Scham. Doch ich gebe zu, wir müssen alles in Betracht ziehen. Außer ihr stehen noch Agnes, Ida und Gregorius in Verdacht, denn sie alle wussten zu dem Zeitpunkt, dass du den Schlag auf den Kopf überlebtest.«
    »Die Priorin?« Margarete fuhr sich mit der Hand an den Hinterkopf, der gewiss noch immer schmerzte.
    »Auch die Priorin. Doch müssen wir uns fragen, welches Motiv den Täter treibt.«
    Margarete hob seufzend die Schultern. Ihre Stimme schwankte, als sie antwortete. »Glaube mir, Elysa, ich habe oft darüber nachgedacht. Außer dir wusste niemand von dem Pergament, und unserem Seelsorger beichtete ich es erst, nachdem man mich niedergeschlagen hatte.«
    Elysa blieb stehen und legte sich beide Hände an die Stirn, als könne sie damit ihre Gedanken ordnen.
    Über ihnen zuckte ein Blitz, gefolgt von einem gewaltigen Donner, was Margarete dazu veranlasste, sofort den Kopf einzuziehen und ängstlich gen Himmel zu starren.
    »Es begann mit dem Tod des Mönches«, fuhr Elysa abwesend murmelnd fort. »Er führte ein

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