Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Liebstöckel erkennen ließen, der Küche als Kräutergarten diente, und blieb vor einer Bank stehen. Die Bank wurde umschlossen von zwei großen Kastanien, nur zögernd folgte Elysa der Aufforderung, sich zu setzen.
»Sollten wir uns lieber nicht vor dem Gewitter verbergen?«, fragte sie Ermelindis.
»Fürchtest du die himmlische Gerichtsuntersuchung? Ich hingegen habe nichts zu befürchten, meine Seele ist rein.« Ermelindis verschränkte die Hände. »Bei Gott, es geschehen so viele schreckliche Dinge. Ich kann den Anblick von Anna nicht vergessen. Sie war ein liebes Mädchen, gewiss nicht ohne Laster, doch was trieb sie an, diesen Tod zu wählen? Hatte der Teufel ihr Böses eingeflüstert?«
Der Teufel nicht, dachte Elysa. Hatte Anna geglaubt, der Herr würde ihr Vergehen nicht verzeihen, als sie sich Ditwin in geschlechtlicher Lust hingab? Es ergab keinen Sinn. Gott vermochteauch weit schlimmere Sünden zu vergeben. Warum hatte sie die Feuer der Hölle gewählt?
»Was die Ente betrifft …«, fuhr Ermelindis leise fort. »Ich habe von deinem Leiden gehört, denn das Gerücht ging um, jemand wollte dich vergiften. Doch ich tat es ab, denn ich konnte nicht ahnen, dass es der Braten war, der das Gift enthielt. Die Zubereitung der Speisen obliegt meiner Verantwortung. In diesem Konvent gibt es keine Köche. Der Kochdienst wird gewöhnlich in wöchentlich wechselndem Dienst von den Mitschwestern selbst vorgenommen. Die meisten erwiesen sich jedoch als ungeschickt, sie verdarben das Essen oder steckten es heimlich ein. So musste ich die Schwestern vom Kochdienst entbinden.«
Ermelindis schwieg. Dann schüttelte sie den Kopf, wie um einen lästigen Gedanken zu verscheuchen. »Gewiss, ich bin nicht immer zugegen. So wäre es für jemanden, der Böses im Sinn hat, ein Leichtes, dem Essen etwas beizumischen.«
»Was ist mit den Armen, die heute bei Tisch saßen?«, fragte Elysa.
»Sie sind nur während der Mittagszeit in der Küche und werden angehalten, das Kloster gleich nach dem Mahl wieder zu verlassen. Den Braten aber hatte ich vorher zubereitet, gleich nach der Terz.«
Elysa dachte an den Tag, als sie aus dem Kapitelsaal gelaufen waren und Margarete blutend auf dem Steinboden vorgefunden hatten. Konnte sie Ermelindis trauen? »Alle dachten, Margarete wäre tot«, sagte sie zögernd. »Und dennoch brachtest du die gebratene Ente.«
»Jutta hatte mir von ihrer Genesung berichtet.«
»Es musste noch jemand von ihrem Zustand erfahren haben. Jene Person, die Margarete den Schädel zertrümmern wollte und sich nun anschickte, das Werk zu vollenden.«
»Die Priorin wusste es, ich muss jede Abweichung des Speiseplansmelden. Und Ida, die, vom Duft des Bratens angezogen, nach dem Rechten sah. Dann der Laienbruder Gregorius, den ich anwies, eine Ente zu bringen.«
Agnes, Ida, Gregorius …
Die Priorin? Welchen Grund sollte sie haben, Margarete zu töten oder gar den Mönch? Die Vorfälle brachten ihre Leitung in Verruf.
Und Ida? Lange hatte sie geglaubt, die blinde Nonne würde alles tun, um Sünder eigenmächtig zu bestrafen. Nun war sie fort, doch floh sie vor der Strafe Gottes?
Und was war mit Gregorius, dem Laienbruder, den Clemens von Hagen als ihren Anker erwählt hatte und der nun als Bote im Auftrag der Priorin reiste? Hätte er Margarete den Schädel einschlagen wollen, wäre sie gewiss gestorben. So aber konnte es nur eine Frau gewesen sein oder ein Mann, der harte Arbeit nicht gewohnt war.
Es wollte nicht passen. Sie musste etwas übersehen haben.
Elysa seufzte. Ihr Herz war erfüllt von zahllosen Sorgen, am größten aber war die Angst um Margarete. Sie musste wieder zu ihr, ihr beistehen, mit ihr sprechen. Vielleicht konnte ein weiteres Gespräch Licht ins Dunkel bringen, ihr erkenntlich machen, warum ausgerechnet Margarete Opfer eines Mordplanes werden sollte.
Niemand hatte etwas von dem Pergament gewusst, das sie eingesteckt hatte. Es musste etwas anderes sein, das der Mörder verhindern wollte, als er sie im Badehaus überwältigte und später vergiften wollte. Was immer es war – die Zeit drängte.
Als Elysa von der Bank aufstand, schlug ganz in der Nähe ein Blitz ein. Für einen kurzen Moment erzitterte die Luft, bebte unter dem Schlag des Donners.
Elysa ballte die Hände zu Fäusten. Die Zeit des Dämmerns war vorbei. Fürchte dich, Verderbnis, denn deine Zeit ist gekommen.
11
A m Anbeginn der Zeit, als Gottes Wort erscholl, war der Ort der Schöpfung ohne Feuer und kalt. Dann schuf
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