Perlensamt
abging. Erstaunliche Haltung. Wußte er wirklich nichts von einem Motiv, das seinen Vater zu der Tat veranlaßt hatte? Ich sah mich um. Die Halle, eine Mischung aus Foyer und überladenem Wohnraum, wirkte herausgeschnitten aus einem anderen Jahrhundert – wie David selbst war sie eine Inszenierung, nur sehr viel düsterer in den Farben, so daß ich auf den ersten Blick gar nicht erkannte, was mich da umgab. In venezianischen Häusern findet man so etwas, dunkelfarbige Wände, zerschlissene Ornamente, blinde Spiegel, angestaubtes Gold.
Ich hatte den Eindruck, daß irgend etwas hier nicht stimmte. Und das hatte nichts mit dem Mord an Miriam Perlensamt zu tun. Vielleicht waren es die merkwürdigen Proportionen. Das Ausmaß des Raums, seine Höhe und der unpolierte Steinboden ließen die wenigen Teppiche schäbig wirken, obwohl durchaus schöne dabei waren. Zwei Afghanen, frühes achtzehntes Jahrhundert vielleicht, ein sehr großer dunkelroter Buchara aus einer etwas späteren Zeit und eine Kazak-Galerie, extrem dünn geschoren, geradezu fein im Glanz, trotz ihres Abnutzungsgrades. Ihr Alter war schwer zu bestimmen. Dann traute ich meinen Augen nicht. An den in Magenta getauchten Wänden inmitten einer Petersburger Hängung entdeckte ich einen Degas. Les Danseuses. Gleich daneben hing Courbets La Vague. Noch eine Version? Wie viele Courbets konnten einem innerhalb eines Tages in einer Stadt begegnen? Ich schluckte eine Bemerkung hinunter, als Perlensamt zurückkam. Vielleicht war alles nur ein Zufall. Aber in jedem Fall mußte ich Mona davon erzählen.
Perlensamt trug ein Tablett mit einer Flasche Champagner, Wasser und Salzgebäck. Er stellte es ab, goß ein und reichte mir ein Glas. Erst dann setzte er sich.
»Es ist schön, daß Sie meine Einladung angenommen haben. Ich kann ein wenig private Gesellschaft gebrauchen, verstehen Sie? Die einzigen, die in den letzten Wochen auf mich eingeredet haben, waren die Journalisten.«
»Es hieß, Ihre Tante aus Paris …«
»Sie kam nur für einen Tag, um Vater in der Klinik zu besuchen. Sie ist nicht gern in Berlin. Sie kommt nur, wenn sie das Schlimmste befürchtet.«
Er hob sein Glas und prostete mir zu.
»Haben wir etwas zu feiern?«
»Unsere Bekanntschaft«, antwortete er.
Ich wandte den Blick von ihm ab und sah voll offener Bewunderung auf die Wand mit der Petersburger Hängung.
»Was für einzigartige Stücke.« Eine Bemerkung, die die Wirklichkeit Lügen strafte – aber mir fiel nichts Besseres ein.
»Familienbesitz. Seit langem.«
»Gewiß. Außerordentlich, in Berlin eine über Generationen erhaltene Sammlung französischer Kunst zu sehen. Und dann der Courbet – eine besonders schöne Version des Motivs.«
»Version?«
»Ich wollte sagen, Courbet hat das Motiv mehrmals gemalt.«
»Ja, ich weiß. Er liebte diese Stelle an der Küste.«
»Kennen Sie die Gegend?«
»Das Bild vom Meer, glaube ich, war der Anfang.«
Perlensamts Stimme klang auf einmal belegt.
»Der Anfang?«
»Ich habe nicht viel übrig für diese Art von Kunst.«
Ich sah ihn fragend an.
»Für das 19. Jahrhundert, meine ich. Die Auswüchse haben sich allesamt verdächtig gemacht durch die, die ihnen so abgöttisch verfielen. Wie die Gotik im übrigen auch dadurch verdächtig geworden ist. Man muß sich doch fragen, was dieser Ästhetik innewohnt, wenn sie die Nazis so entzückte. Meine Eltern liebten die Räume. Mein Vater hat alles, was Sie hier sehen, von seinem Vater geerbt. Nun bin ich der letzte in der Familie, der dies hütet – oder es in alle Winde zerstreut. Ich selbst ziehe die klassische Moderne bei weitem vor. Die Abstraktion. Und Asiatika natürlich. Aber ich sammele nicht. Allein die Idee einer Sammlung ist mir zuwider.«
Er hielt inne und fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch sein dunkles Haar, strich es zurück, als würde ihm das bei seinen Überlegungen helfen. Aber es fiel ihm sofort wieder in die Stirn. Er schlug die Beine übereinander. Dann nahm er noch einen Schluck. Seine Mundwinkel vibrierten. Er erinnerte mich an jemanden, aber ich kam nicht darauf, an wen.
»Eine Verantwortung, die mir da unerwartet aufgebürdet wurde. Mein Vater wird die Bilder, die er so liebte und die ihn quälten, wohl niemals wiedersehen. Und ich verabscheue sie.«
Mich machte dieser Gefühlsausbruch verlegen. Ich mußte irgend etwas sagen, nur um die Luft zu bewegen.
»Eine wirklich bemerkenswerte Sammlung.«
»Ja, bemerkenswert, sehr treffend gesagt. An unserer Familie
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