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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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Küche hantieren. Sie singt. Ich mache mich am Kamin zu schaffen. Mona meldet sich mit dünner Stimme.
    »Gut, daß du anrufst. Danke.«
    »David ist in der Stadt. Ich habe ihn eben gesehen. Er treibt sich im Sablon-Viertel herum, ging in eine Galerie. Wieso ist er auf Brüssel gekommen? Er hat mich angerufen. Meine Haushälterin hat ihn abgewimmelt. Ich möchte wissen, woher er die Nummer hat.«
    »Von mir.«
    »Was? Spinnst du?« Eine Sekunde lang bin ich drauf und dran, wieder aufzulegen. Aber ich muß die Geschichte zu Ende bringen.
    »Kannst du mir vielleicht erklären, was das soll?«
    Ich meine, sie schlucken zu hören.
    »Ich – es tut mir leid. Ich war so böse auf dich. Die Kündigung. Der Umzug. Du bist einfach abgehauen. Resturlaub hast du das genannt. Ich hatte dir erzählen wollen, was ich in der Woche entdeckt habe, als ich mich um ihn kümmerte. Aber das interessierte dich nicht mehr. Ich habe es noch einmal am Telephon versucht. Ich sagte, ich würde gern kommen. Ich bin in meine eigene Falle gelaufen. Ich schäme mich.«
    Ich schäme mich auch. Aber ich sage es nicht.
    »Also gut, komm her. Vielleicht ist es wirklich am besten so.«
    »Am Wochenende. Ich sage dir noch, wann genau.«
    An jenem Abend in Berlin, als ich begonnen hatte, die Unterlagen aus Perlensamts Mappe und Davids Briefe durchzusehen, entschied ich mich, ein weiteres Mal nach Paris zu fahren. Ich wollte Edwige zur Rede zu stellen. Ich nahm das erste Flugzeug. Erst von einem Café aus, in dem ich ein schnelles Frühstück zu mir nahm, rief ich sie an. Sie war auf dem Land.
    »Ich muß sehr dringend etwas mit Ihnen besprechen. Es geht um David.«
    »Sagen Sie mir, was es ist.«
    »Nein, nicht am Telephon. Auf gar keinen Fall.«
    »Vor neun kann ich nicht in der Stadt sein. Ich rufe Sie an, wenn ich mich auf den Weg gemacht habe.«
    Ich machte einen Spaziergang hinunter zum Quai. Die Luft war diesig. Die Angler hatten längst ihr Geschirr eingepackt. Kein einziger Mensch fuhr Fahrrad. Nirgendwo segelten Mädchenröcke im Wind. Dafür wartete auch Paris mit einer gehörigen Portion Weihnachtsdekoration auf. Um diese Jahreszeit vermißte ich New York am meisten. In allen europäischen Städten war es mir zu kalt. Nicht wegen der Außentemperatur, die lag in New York tiefer. In Europa verstand man nichts von creature comfort. Es schien zum guten Ton zu gehören, nicht richtig zu heizen. Selbstkasteiung als Wert an sich. Warum hatte Edwige ihr Kind dem ungeliebten Bruder überlassen? Woher kam die Sammlung, wenn Otto Abetz gar nicht Davids Großvater war? Am Quai war es zugig. Ich ging zurück, an den Galerien der Rue de Seine vorbei und betrat die erste Bar, um mich aufzuwärmen. Als ich einen Espresso bestellt hatte und auf die Uhr sah, war kaum eine Stunde vergangen. Ich wartete nervös auf den Abend. Zurück im Hotel duschte ich, nahm ein Buch zur Hand und legte mich hin. Es war nach sieben, als das Telephon endlich klingelte.
    »Ich bin noch auf der Autobahn.« Sie schlug einen Treffpunkt in der Rue de Petites Écuries im 10. Arrondissement vor.
    »Dort gibt es eine Brasserie, das Flo. Sagen wir um zehn. Kennen Sie das Quartier? Nehmen Sie die Métro bis Château d’Eau. Wenn Sie aus dem hinteren Eingang kommen, halten Sie sich links.«
    Ich war noch nie in dieser Gegend gewesen. Dennoch sagte mir das 10. Arrondissement etwas. Von hier aus, dem sogenannten Quartier République, hatte Patrique Melcher seinen zweiten Brief an Alfred Perlensamt geschickt. Ich sah auf dem Stadtplan nach. Die Adresse des Absenders lag in einer Parallelstraße zum Restaurant, fast schon am nordöstlichen Rand, wo das Quartier in das von Belleville übergeht. Ich steckte das kleine Buch in die Tasche und machte mich auf den Weg.
    Ich folgte der Anweisung und nahm die Métro. Ich wunderte mich, daß Edwige einen Ort vorgeschlagen hatte, der weit entfernt von ihrem eigenen Viertel lag. Ich hatte bisher in Paris bei den Bewohnern dasselbe Verhalten festgestellt, das ich aus meiner Heimatstadt kannte und das in Berlin nicht anders war: Jeder behandelt seine Nachbarschaft wie ein Dorf, das er nur ungern verläßt, eigentlich nur, wenn es unvermeidbar ist. Wenn man in Chelsea wohnt, ist die Upper West Side ein Niemandsland. In Berlin ist das Dorf sogar nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich begrenzt. Ich habe Leute aus Schöneberg kennengelernt, die trotzig darauf bestehen, daß die Zusammenfügung der geteilten Stadt einen kaum zu verschmerzenden Verlust

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