Perlensamt
Bildlich gesprochen, meine ich. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber wenn Sie sagen, er sei dabei, einen Skandal anzuzetteln … Durch alle Sender, sagen Sie? Was soll das? Was ist das überhaupt für eine Sammlung?«
»Das möchte ich von Ihnen wissen. Deswegen bin ich hier.«
Sie sah mich verständnislos an.
»Ich gehe davon aus, daß es Raubkunst ist. Und daß der Tod Ihres Bruders der Auslöser von Davids Kopflosigkeit war.«
»Raubkunst. Der Tod seines Vaters. Was Sie nicht sagen!«
Sie lachte bitter, trank einen Schluck Wein und legte die Serviette beiseite. Vor Edwige baute der Kellner ein Geschirr auf einem Blechständer zusammen, verschiedene kleine Näpfchen mit Zitrone, Zwiebeln in einer roten Flüssigkeit, Butter, Brot. Dann kam das Meeresfrüchteplateau. Schalentiere auf Eis. Als ein Teller mit gebratener Blutwurst vor mir stand, realisierte ich, daß ich in der Eile das Falsche bestellt hatte.
»Himmel, jetzt sehen Sie mich doch nicht so entgeistert an. Ist es mein Kommentar oder das, was vor Ihnen steht?«
Es war beides. Ich war immer noch zu sehr Amerikaner, als daß ich genau hätte sehen und wissen wollen, was ich aß. Ich suchte nach einem Ausweg. Ich konnte sehen, daß Edwige mich für zimperlich hielt.
»Warum machen ausgerechnet Sie sich Sorgen um ihn?«
»Das ist nicht Ihr Ernst. Schauen Sie sich David einmal an. Sie haben mir doch selbst gerade erzählt, wie sehr ich Grund dazu habe.«
»Warum Sie?«
Sie zögerte und knetete ein Stück Brot, als offenbare das Ergebnis die Antwort auf meine Frage. Plötzlich ließ sie davon ab. Sie nahm eine Auster vom Eis und löste sie aus der Schale. Ohne etwas von den Gewürzen auf den augenlosen Körper zu träufeln, sog sie die Schale aus und legte sie aufs Plateau zurück. Langsam, als müsse sie sich genau das Risiko vergegenwärtigen, begann sie, erneut von David zu sprechen. Zunächst wiederholte sie, was ich schon wußte. Die ganze Litanei. Zwischen einzelnen Sätzen schlürfte sie die Austern. Sie brauchte keine Viertelstunde, dann waren die Schalen leer. Bevor sie sich weiter durch die Meeresfrüchte schaufelte, bestellte sie ein weiteres Dutzend. Ich nahm erst wahr, daß sie Order gegeben hatte, meine Blutwurst abzuräumen, als die Fois Gras mit Gelee vor mir stand.
»Das schmeckt köstlich, da können Sie sicher sein, und Sie sehen nun wirklich nicht, was es einmal war. Denken Sie einfach, es wüchse in der Dose an Bäumen.« Ihr Tonfall klang ein bißchen gönnerhaft. »Mögen Sie Steaks?«
Ich nickte. Sie bestellte als Hauptgang für mich ein Entrecote. Als ich sie so agieren sah, suchte ich nach Ähnlichkeiten zwischen David und ihr. Meiner nirgendwo verbürgten Theorie folgend, kommen die ersten Söhne immer auf die Mütter, die ältesten Töchter auf den Vater. Ich fand David weder in ihren Gesten noch in ihrer Sprache, auch nicht in ihrem Blick. Ihr Mund hatte volle weiche Lippen. Viel weniger scharf konturiert. Ihre Augen strahlten in kräftigem Dunkelblau, mit kleinen lebendigen Falten in den Winkeln der Lider. An diesem Abend war sie für ihre Verhältnisse wohl bequem gekleidet. Eine gut situierte Frau, die gerade vom Land gekommen war, einen Hauch normannischer Brise um Haut und Haar. Der Schmuck, den sie so beiläufig trug, verriet, daß sie sich jede Untertreibung leisten konnte. Beiläufig, das war es. Deswegen glichen David und Edwige sich nicht, weil für sie alles beiläufig war. Sie strich das offene, knapp schulterlange Haar aus dem Gesicht. David sei ein künstlerischer Typ, sagte sie. Der praktische Alfred, der übrigens ganz nach seinem Vater gekommen war, hatte ihm das natürlich verwehrt. Alfred Perlensamt wollte, daß David die Firma übernahm. Es gab Streit, mehr als einen. David mußte Betriebswirtschaft studieren. Als wäre das nicht genug, schickte er den Sohn in die USA. Das hörte sich so an, als sei das Land, aus dem ich komme, eine Strafkolonie!
»Er hat nicht in Berlin gelebt?«
»Kaum. Mein Bruder zahlte ein Vermögen für die Internate, später für die Columbia University in New York. Das half aber nichts. David ging kaum hin. Nach zwei Semestern machte er Schluß. Er begann heimlich, Schauspiel zu studieren. Er war nicht unbegabt, aber er wurde hinausgeworfen. Er fügte sich nicht. Dann dachte er über andere Sachen nach. Nichts hielt ihn bei der Stange. Meiner Meinung nach hätte er etwas mit Kunst machen sollen, Maler werden. Sein eidetisches Vermögen ist sensationell. Er hatte für
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