Perlensamt
Kindern tun muß.«
Es klang trotzig. Als beantragte sie den Schuldspruch für Alfred und Miriam, aber eigentlich meinte sie sich selbst.
»Was ist mit der Sammlung? Wenn es keinen Großvater gab, der sie aus den französischen Privatsammlungen rauben ließ, woher kommen die Bildern dann? Sie tragen auf der Rückseite von den Nazis eingetragene Inventarnummern. Was bedeutet das?«
Sie sah mich hilflos an.
»Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat mein Bruder sie gekauft, auf Davids Rat. Er kennt sich aus und hat sehr viel Sinn dafür. Während seiner Schweizer Internatszeit fuhr er oft nach Zürich, Zug und Bern. Schon als Junge sah er sich die Exponate in den Museen an. Er fuhr nach Winterthur und Basel, als er größer wurde. Ich glaube, diese Leidenschaft tröstete ihn. Als Junge hat er wunderschöne Zeichnungen gemacht. Ich schickte ihm Ölfarben, Pinsel und eine Staffelei. Eine Zeit lang hoffte ich, daß er darin aufgehen und seine Stabilität finden würde. Einen Lebensinhalt. Aber dann hat er wieder aufgehört.«
»Es ist unmöglich, daß Ihr Bruder all diese Bilder nach dem Krieg erworben hat. So viele Bilder dieser Güte kann niemand legal in dieser Zeit gekauft haben – es sei denn, er heißt Duke, Getty oder Thyssen. Wir reden über sechs- bis siebenstellige Summen für ein einzelnes Bild!«
»Warum fragen Sie David nicht selbst? Ich halte diese verdammte Sammlung für das geringste Problem.«
Ihre Zunge wurde schwer, die Worte klangen unartikuliert. Sie setzte zur Wiederholung an. Sie wollte nicht glauben, was längst geschehen war.
»Unfaßbar, daß mein Bruder David so unterschätzen konnte. Er hielt ihn für einen Schwächling, nur weil er seiner Durchschnittlichkeit nicht entsprach.«
Und du hast ihn in ihre Arme gelegt, dachte ich, sagte es aber nicht. Es gab noch eine offene Frage.
»Wer hat auf Ihre Schwägerin geschossen – Alfred Perlensamt?«
Sie lachte, als sei sie irre geworden.
»Sie sind atemberaubend in Ihrer Hartnäckigkeit.«
Dann gaben ihre Züge nach. Ich sah, wie alt sie wirklich war. Der Rauch und die schlechte Luft im Lokal hatten ihr Makeup angegriffen, die Frische vom Land ruiniert. Die Aura von normannischer Luft, würzigem Meer, steigenden Wellen – alles verpufft.
»Sie haben recht«, auch ihre Stimme klang schwach. »Sie haben ganz recht, Herr Dr. Saunders, wenn Sie vermuten, daß ich mehr weiß, als ich Ihnen sage. Ich weiß mehr, und ich habe Höllenängste ausgestanden, man könnte dahinter kommen. Ich gebe Ihnen einen Tip. Sie wissen doch, was viele der Nazis machten, sofern sie die Gelegenheit und Mittel dazu hatten. Sie haben sich und ihre Familien selbst liquidiert. Das zeigt Familiensinn, nicht wahr? Der Clangedanke will sagen, daß eine Familie nicht nur das Leben schenken, sondern auch den Tod geben kann. Heute so selten geworden, finden Sie nicht?«
Ich sah, daß sie wieder Höllenqualen litt. Sie fürchtete, durch den Medienrummel, den David inszenieren könnte, käme ans Licht, was sie mir verschwieg. Sie zeichnete mit einem noch unbenutzten Messer etwas, das ich nicht erkennen konnte, in die Tischdecke. Es fiel ihr so schwer, Abschied zu nehmen.
»Maurice hat Miriam geliebt, wirklich geliebt. Es muß für ihn unerträglich gewesen sein, daß sie tot war. Es muß ihm klar geworden sein, daß das eine Strafe des Schicksals war. Er hat sie angenommen.«
Das Restaurant leerte sich.
»Wer hat Ihnen von Patrique Melcher erzählt?«
Ich sagte ihr, die Informationen entstammten einer Mappe ihres Bruders. Alfred Perlensamt hätte verfügt, daß ich mich darum kümmern sollte, die Papiere mit seiner Leiche kremieren zu lassen. Sie nickte nur.
»Ich habe mich dagegen entschieden. Möchten Sie die Unterlagen haben?«
»Ersticken Sie daran.«
Sie stand auf und verließ das Lokal, ohne sich umzudrehen. Ich winkte dem Kellner und bat um die Rechnung. Es war alles bezahlt. Ich hatte mich nicht einmal für das Essen bedanken können. Als ich aus dem Restaurant kam, wurde ich erwartet. Der Mann, den ich zu Beginn des Abends nach Melcher gefragt hatte, lümmelte vor dem Ausgang herum. Er hätte sich umgehört. Melcher erwarte mich. Er könne mich hinbringen. Ich kramte in meiner Hosentasche, hielt ein paar Francs in der Hand und gab sie ihm. Die Vergangenheit war greifbar nah. Hier um die Ecke. Eben. Jetzt. Und alle waren bereit, wieder einzusteigen.
SIEBENUNDZWANZIG
Es regnete in Strömen in dieser Nacht. Ich nahm ein Taxi zurück ins Hotel. Dicke
Weitere Kostenlose Bücher