Perlensamt
Tropfen klatschten an die Autofenster. Die Wischblätter zogen in hysterischem Rhythmus die Windschutzscheibe ab, von links nach rechts nach links, immer ärgerlicher, immer schneller. Ich hatte dem Fahrer die Adresse genannt. Der hatte nur genickt und gar nicht erst versucht, ein Gespräch anzufangen. Er hatte die glänzende Straße im Auge. Keine Musik im Hintergrund, nur dieser heftige Regen … Im Hotel verkroch ich mich sofort ins Bett. Mein Unternehmungsgeist reichte nicht einmal mehr für eine heiße Dusche. Mir graute davor, nach Berlin zurückzukehren, die Ratlosigkeit über die fulminante Sammlung im Kopf, das Wissen um Davids Herkunft – und Monas neue Obsession.
Die Weihnachtsparty, das übliche Wir danken Ihnen, meine Damen und Herren, daß Sie uns treu geblieben sind stand auch noch aus. Viel Lächeln, freundliche, zimtbestäubte Worte, Tannengeruch und Punsch. Und natürlich David selbst. Perlensamt zwischen Juwelen und Christbaumschmuck. In dem Augenblick, als der Schlaf mich zu sich hinüberzog, ging mir noch einmal durch den Kopf, wie es wäre, Rosie anzurufen und ihr alles zu erzählen. Sie nach einem Ausweg zu fragen. Ich hatte das noch nie gemacht.
Am nächsten Morgen, nachdem ich die Rechnung beglichen hatte, frühstückte ich in einem Café in der Rue de Buci. Hier gab es die besten Croissants der Stadt. Ich sah mir in der Rue de Seine flüchtig einige Galerien an. Wintersonne lag über der Stadt, als ich an der Place St. Germain noch einen letzten Kaffee trank, um von dort aus ein Taxi zum Flughafen Charles de Gaulle zu nehmen.
In Berlin empfingen mich verschneite Boulevards. Ich hatte beschlossen, noch am späten Nachmittag ins Büro zu gehen, um das Wiedersehen mit Mona so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Im Taxi von Tegel nach Charlottenburg spielte ich verschiedene Möglichkeiten durch, wie ich ihr begegnen könnte. Alle Überlegungen stellten sich als überflüssig heraus. Mona war gar nicht da. Henriette saß an ihrem Platz.
»Ach, da bist du ja wieder. Ich sehe gerade die Mails für Mona durch. Sie ist krank. Nun hat es sie endgültig erwischt. Sie hat so lange tapfer gekämpft.«
»Tapfer gekämpft?«
»Ja, gegen die Grippe. Sie hatte noch keine dieses Jahr.«
»Was ist mit dem Rummel?«
»Weihnachten? Doch, wir haben den Empfang gut vorbereitet, nächste Woche Mittwoch. Vielleicht sind manche schon im Urlaub, um so besser. Wir haben ohnehin nicht viel Platz.«
»Einen anderen Rummel gibt’s nicht?«
Ich sah die Post auf meinem Schreibtisch durch, klickte die Mails an, nichts Wichtiges dabei, nichts, was nicht bis morgen warten konnte.
»Welchen sonst? Ja, verdammt, diese Eveline. Entschuldigung, aber es ist wirklich wahr. Ich habe sie abblitzen lassen, jetzt versucht sie es bei Mona mit dem Anzapfen. Ich werde ihr … Gehst du schon wieder?«
Ich ging schon wieder. Man konnte Henriette getrost die Firma alleine überlassen. Im Augenblick konnte ich weder ihr unbeschwertes Geplapper ertragen noch ihr Parfüm. Auch nicht ihre Farben.
Ohne Mona kam mir die Firma fremd vor. Da stellte ich fest, daß ich sie vermißte. Was das sollte, wußte ich nicht. War ich verliebt? Natürlich nicht. Ich war noch nie verliebt gewesen. Jedenfalls nicht in einen Menschen. Aber ich machte mir Sorgen um sie und Sorgen um die ganze Situation, die Verwirrung mit David und darum, daß er es gewesen war, der unsere gute Stimmung in der Firma durcheinander gebracht hatte. Am späten Nachmittag rief ich Mona an. Sie nahm erst ab, als ich bereits einige Worte auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Sie meldete sich, ohne ihren Namen zu nennen, nur mit »Hallo«.
»Ich komme gerade aus Paris. Ich war extra noch reingekommen, um mit dir zu reden. Henriette sagte, du seist krank.«
Sie antwortete nicht.
»Ich war bei Davids Tante. Vorher habe ich etwas über Davids Sammlung im Fernsehen gesehen.«
Erst als sie aufschluchzte, merkte ich, daß es nicht die Grippe war, die sie zu Hause hatte bleiben lassen. Ich fragte sie, ob ich etwas für sie tun könnte. Sie antwortete nicht. Ich sprach weiter, erzählte ihr das Blaue vom Himmel und von Paris, schwärmte vom Marsfeld und dem Eiffelturm, erzählte irgendeinen Unsinn von der Weite des Horizonts und den dunklen Ahnungen, die die seltsamen Machenschaften der Perlensamts in mir aufkeimen ließen. Ich verschwieg ihr, daß ich David vermißte, und ich verschwieg ihr, daß ich sie vermißt hatte, und daß mir nichts einfiel, was die
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