Perlensamt
Geschirr. Auf dem Tresen, der die Küche vom Rest des Raums trennte, stand eine Vase mit verwelkten Blumen. Daneben lag das kleine Stemmeisen, auf das Mona so stolz gewesen war. Das Wasser rauschte immer noch in die Wanne, als ich in einem weiteren großen Zug das Glas leerte, das Stemmeisen nahm und mit der rückwärtigen Kante auf das Brot eindrosch. Es war so hart, daß es in Stücke sprang. Ich drosch auf den Stücken weiter. Als sie zerbröselten, drosch ich auf die Brösel ein. Die Badezimmertür sprang auf. Mona stand patschnaß vor mir, notdürftig in ein Handtuch gewickelt.
»Hast du den Verstand verloren?«
Sie war hellwach. Ihre Wangen glühten. Sie hatte Schaum im Haar. Ihre Augen glänzten dunkelgrün, so wie sie früher geglänzt hatten, als sie noch dachte, Courbet hätte das Bild vom Meer nur ein einziges Mal gemalt.
»Mein Gott, Martini, du hast wirklich den Verstand verloren, du weinst ja.«
»Sind nur die Nerven. Ich habe tatsächlich Angst um dich gehabt.«
Sie goß Rotwein in mein Glas und trank es aus. Dann kam sie auf mich zu, wischte an meinen Gesicht herum, stellte sich auf die Zehenspitzen, was nicht unbedingt nötig gewesen wäre, denn weder war ich so groß noch sie so klein, und küßte mich auf die Nase. Es kribbelte leicht. Dabei fiel das Handtuch hin, was mir peinlich war. Mona war auf einmal gesund genug, um darüber zu lachen. Ich räumte die Schweinerei beiseite und bereitete das Essen zu, während sie sich anzog und noch hinter dem Paravent zu plappern begann.
»Ich konnte dir von meinem Verdacht nichts erzählen. Du warst so unberechenbar. Ich wußte nicht, ob du nun auf Davids Seite oder mißtrauisch ihm gegenüber warst. Als David zusammenbrach, dachte ich, wenn ich mich um ihn kümmere, habe ich Gelegenheit, mich in der Wohnung umzusehen. Die einzige, die mich störte, war diese Haushälterin. Sie mochte mich nicht. Sie taperte immer hinter mir her, kam in jeden Raum, in dem ich war. Ich glaube, sie dachte die ganze Zeit, daß ich was klauen wollte. Ziemlich geistesgegenwärtig, oder?«
»Die Haushälterin?«
»Nein, daß ich auf die Idee kam, David zu betreuen.«
»Das war der Grund? Ich hatte keine Ahnung, daß du schauspielerisch begabt bist. Und warum hast du das moralische Theater gemacht?«
»Du reizt einen manchmal dazu. Du bist so – emotional unabhängig, so unberührt von allem. Du scheinst niemanden zu lieben, niemanden zu hassen und niemanden zu brauchen. Du tust einfach, was du willst.«
Ich wußte nicht, was mich plötzlich zu ärgern begann. Ich hatte mir wirklich Sorgen um Mona gemacht. Aber was, wenn der Zustand, in dem ich sie eben angetroffen hatte, auch taktisches Theater gewesen war? In jener Sekunde, als sie sagte, Martini, hast du den Verstand verloren , hätte ich die Zeit anhalten sollen. Ich hätte mich aufschwingen sollen zu der Uhr, nach der die Weltzeit tickt, wie Harold Lloyd es tut in Safety Last, mich an den Zeiger hängen und dort bleiben oder gemeinsam abstürzen mit der Zeit. Ich hätte mich opfern sollen für diesen einen Augenblick, der in mir die Spur eines Erkennens hatte aufkommen lassen, ähnlich jenem, als ich David zum ersten Mal mir gegenüber sah. Es waren zwei Augenblicke, die nichts miteinander zu tun hatten, herausgerissen aus mir, wie es schien, verbindungslos zueinander, unvereinbar und mir unerklärlich, und doch hatten sie etwas Ähnliches hervorgerufen. Erleichterung. Verwunderung. Glück.
Aber diesen Momenten folgte die verdammte Erkenntnis, daß Monas Zeit ohne meine fortgeschritten war. Auch Davids Zeit schritt ohne mich fort. Wie Rosies Zeit. Meine Wut schwoll an. Zum zweiten Mal an diesem Abend verging mir der Appetit. Mona merkte von all dem nichts. Sie plapperte weiter.
»Ich habe vollkommen vergessen, daß ich noch mit jemandem verabredet bin. Du bist ja jetzt wieder in Ordnung. Wein steht hier, Salat ist fertig, du brauchst das Steak nur noch in die Pfanne zu hauen. Wie gesagt, es gibt nichts Dringendes, und die ausgedruckten Mails liegen auf deinem Bett.«
Schon war ich draußen. Wieder drin in dem seltsamen Reigen, der ein Mißverständnis an das andere setzte und auf meiner Zunge den altbekannt bitteren Geschmack hinterließ. Als ich unten auf der Köpenicker Straße stand, atmete ich aus. Der Ärger war noch nicht verschwunden, aber deutlich geringer. Ich fühlte mich gerettet, obwohl ich ahnte, daß ich es nicht war. Vor allem aber mußte ich nicht darum fürchten, unter Beobachtung noch einmal
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