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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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verfahrene Lage entwirrte. Ich bat sie, irgend etwas zu sagen. Es kam keine Reaktion. Die Leitung war tot.
    Es war schon dunkel, als ich, mit Tüten bepackt wie jemand, der Reserven für eine Katastrophe gehamstert hat, bei Mona klingelte. Ich hatte noch mehrmals vergeblich versucht, sie an den Apparat zu bekommen. Also hatte ich ihr die Nachricht hinterlassen, ich würde gegen acht Uhr bei ihr sein.
    Als sie mir öffnete, ging ich einen Schritt zurück. Sie sah entsetzlich aus. Die seegrüne Iris ihrer Augen war unter der Schwellung roter Lider verschwunden, ihre Nasenlöcher groß und wund. Eingewickelt in einen gestreiften alten Männerbademantel, mit dicken Socken an den Füßen, starrte mich die zerbrechliche Person wie eine Erscheinung an. Sie stand für einige Sekunden in der Tür, die gelockten Haare wirr um den Kopf, als seien die Verbindungsdrähte zur Wirklichkeit aus der Verankerung gesprungen. Dann drehte sie sich um und ging mit hängendem Kopf und hängenden Armen zurück ins Bett.
    Am anderen Ende des Lofts, auf dem Küchentresen, packte ich die mitgebrachten Sachen aus. Währenddessen plapperte ich ähnlichen Unsinn wie am Telephon. Ich legte ihr ein paar ausgedruckte E-Mails aufs Bett, warf einige Erklärungen dazu ab und beruhigte sie, daß es nichts Dringendes gäbe. Ich wollte zurück zur Küche gehen, um uns etwas zu essen zu machen, als ich ein Klopfen an der Balkontür hörte. Mehrmals. Hastig. Erst zaghaft, dann dringlich im Rhythmus. Als ich öffnete, saßen die beiden Tauben davor. Sie flatterten in den Raum, gurrten, liefen herum, verdreckt und räudig. Sie stanken und erinnerten mich an den Wellensittich eines Schulfreundes, der sich in mystischer Selbstverstümmelung die Federn ausgerupft hatte. Das Delirium seines Todeskampfes hatte mich so seltsam berührt, daß ich den Kontakt zu meinem Schulfreund abgebrochen hatte. Als ich jetzt die Vögel sah, überkam mich für einen Augenblick die gleiche Verwirrung wie damals. Wie war es möglich, daß das so ferne Geschehen in und um Perlensamts Familie dicht genug an uns herangerückt war, um mit den eigenen Empfindungen zu verwachsen?
    »Dürfen sie herein?«
    Die Chinesischen Mövchen flatterten zur Küche. Eine Taube stürzte sich auf das Grünzeug, die andere plumpste in die Spüle, die ich mit Wasser gefüllt hatte, um den Salat zu waschen.
    »Mona, die reden nicht mit mir.«
    Ich überließ ihnen einige Blätter und etwas Brot und scheuchte sie wieder in Richtung Balkon. Er war mit Taubenexkrementen verdreckt, ihre Näpfe leer.
    »Mona, sie haben Hunger. Was fressen sie?«
    Mona starrte auf die gurrenden Tauben, blicklos, dumpf und sehr kindlich.
    »Mona, hörst du mich? Ich muß diese Tiere füttern, oder willst du sie verhungern lassen. Was soll ich mit ihnen machen? Sie köpfen und in die Pfanne hauen?«
    Die einzige Antwort, die ich bekam, waren dicke Tränen. Sie lösten sich aus Monas Augenwinkeln und rollten langsam ihre Wangen hinab. Ich mußte an ein deutsches Märchen denken, dessen Titel mir nicht in den Sinn kam. Eine Prinzessin weint darin Perlen. Sie verfangen sich im Schoß ihres Kleides. Das edle Fräulein ist so untröstlich, daß in ihrem Schoß ein Berg bleich schimmernder Preziosen entsteht. Ihr Vater rettet damit schließlich sein verschuldetes Königreich. Keine Ahnung, was das Märchen zu bedeuten hat. Ich fand Kummer und Tränen nie zu etwas gut. Ich rannte herum und suchte nach Trost, nach Kalauern, nach einem Buch über Taubenhaltung, nach Vogelfutter und einem Echo in mir. Dann gab ich auf. Ich hatte schon den Mantel an, als das Telephon klingelte. Langsam drehte Mona den Kopf in Richtung Apparat. Nach dem Signal hallte Perlensamts Stimme durch den Raum.
    »Hey, Lady, ich wollte mal hören, wie es so geht. Hast du Lust, irgendwo einen Cocktail zu trinken? Ruf mich auf dem Mobile zurück, wenn du das abhörst.«
    Mona sprang aus dem Bett. Sie rannte ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. Ich konnte hören, wie sie sich übergab.
    Am liebsten hätte ich dasselbe getan. Ich hatte David nie gemocht, wenn er vulgär wurde. Es war eine Seite an ihm, die ich nicht einzuordnen wußte. Auf unerklärliche Weise machte es mich wütend, wenn David sich so vergaß. Ich zog den Mantel wieder aus und öffnete den Rotwein. Ich hörte, wie Mona im Bad die Wanne vollaufen ließ, goß den Wein ein und nahm einen kräftigen Schluck. Auf der Anrichte lag ein vertrocknetes Brot. Neben dem Becken türmte sich dreckiges

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