Perlensamt
Meer. Ich war sofort darauf angesprungen, weil es unübersehbar in der Mitte der Wand hing. David hatte es so plaziert, daß mein Blick darauf fallen mußte. Wovon war das Bild der Anfang, wenn es nie eine Sammlung Abetz/Perlensamt gegeben hat? Ich mußte mit Mona reden. Ich zog mich in aller Eile für den Weihnachtsempfang um. Viel zu früh traf ich im Büro ein. Der Cateringservice hatte noch nicht einmal die Canapés gebracht. Um die Zeit zu überbrücken, rief ich in unserer Dependance in Paris an, wo der Courbet auf der Weihnachtsauktion angeboten werden sollte. Als niemand abnahm, probierte ich es auf dem Mobile von Stéphane, einer Kollegin.
»Man sollte kaum glauben, daß es in den digitalen Zeiten noch derart lange Leitungen gibt. Der Anbieter aus Berlin hat das Bild zurückgezogen. Das hatte ich doch Mona gemailt. Er sagte, er hätte dir gesagt, er könne ohnehin nicht verstehen, warum die Familie das Bild zur Auktion hatte geben wollen. Sie hätten es gar nicht nötig. Wie auch immer, es ist nicht bei uns. Es ist in Berlin. Wir haben nichts mehr damit zu tun.«
Ich schaffte es nicht, vor dem Empfang noch mit Mona zu sprechen. Erst kam Henriette. Eine Symphonie in schwarzrot-gold – von ihren Pumps aufwärts gesehen. An Tagen wie diesen schillerte sie nicht nur in der Funktion der Büroleiterin, sondern als Eigentümerin der Firma.
»Martini, wenn du so freundlich sein könntest, für mich eben …«
Dann kam der Cateringservice, wenig später standen die ersten Gäste im Foyer. Während ich »in Henriettes Namen« die Leute begrüßte, stellte ich Überlegungen an, wie ich Mona dazu bringen könnte, nach der Veranstaltung mit mir auf einen Drink zu gehen. Und dann tauchte David auf. Er kam herein, unübersehbar. Schon die dunkle Sonnenbrille an einem späten Dezembernachmittag weckte Aufmerksamkeit. Er begrüßte mich, nahm die Sonnenbrille ab und lächelte. Daß das Lächeln leicht gezwungen war, konnte wohl nur ich erkennen.
»Du hast dich nicht mehr gemeldet. Du bist wohl durch mit mir.«
Seine Ehrlichkeit war so entwaffnend, daß ich weiche Knie bekam. Er sah aus wie kurz nach dem Tod seiner Mutter, mühsam die Fassung wahrend. Ich war mir nicht sicher, ob er wieder eine Rolle spielte oder wirklich so empfand. Ich nahm mir vor, mich davon nicht beeindrucken zu lassen.
»Ich komme gleich zu dir. Ich muß noch ein paar Kunden begrüßen«, sagte ich.
Ein älterer Herr, den ich nicht kannte, ging auf David zu und verwickelte ihn in ein Gespräch. Nichts von Davids Gestik ließ jene Großspurigkeit erkennen, die ich an ihm nicht leiden konnte. Seine Züge waren weich, fast jungenhaft. Als Mona an den beiden vorbeikam, bepackt mit drei Auktionskatalogen, fiel ihr einer davon auf den Boden. David sprang ihr zu Hilfe, hob das Buch auf und bedachte sie mit einem scheuen, traurigen Blick. Der verdammte Hund war wirklich ein begnadeter Schauspieler! Sie bedankte sich und verharrte etwas zu lange auf der Stelle, sah dann suchend im Raum umher, bis unsere Blicke sich trafen. Sie schien etwas sagen zu wollen, wandte sich aber kurz entschlossen ab. Eine langjährige Kundin kam auf mich zu.
»Verzeihen Sie, Herr Dr. Saunders. Ich habe da neulich etwas im Fernsehen gesehen. Ich meine, dieser Mann da … ist das nicht der Herr, der die riesige Sammlung von Raubkunst geerbt hat, der Enkel von, wie hieß er noch mal – Hitlers Botschafter in Paris? Irgendwie kannte man den Mann vor dieser Geschichte gar nicht so richtig.«
»Otto Abetz.«
»Ja, genau, Otto Abetz. Ich hatte gar nicht erwartet, daß er hier sein würde.
»Ist er auch nicht.«
»Doch, da steht er. Ich erinnere mich an sein Gesicht. Kennen Sie ihn näher? Das ist ja alles hochinteressant.«
»Ich kann verstehen, daß die Sache Sie interessiert, gnädige Frau. Sie scheint äußerst dramatisch. Man weiß nur nie, ob das nun gut oder schlecht ist für die Kunst. Ich stelle Sie gerne vor, dann können Sie selber mit David Perlensamt sprechen.«
Ich sagte David, Frau Eppler hätte einige Fragen an ihn. Ich hatte erwartet, daß David jetzt aufdrehen, das Scheinwerferlicht wahrnehmen und sich darin sonnen würde. Nichts dergleichen geschah. Er nickte bescheiden und widmete sich der Dame genauso ernsthaft wie zuvor dem fremden Herrn. Immer noch umgab ihn diese traurige Aura. Eine halbe Stunde später verabschiedete sich Frau Eppler bei mir persönlich.
»Was für ein reizender junger Mann! So kultiviert. Ich finde seine Haltung bemerkenswert. Das
Weitere Kostenlose Bücher