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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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mir, als ich sie durch SoHo verfolgte und später auf der Upper East. Nie hatte ich, die Tage in Langenfeld ausgenommen, etwas Persönliches von ihr erwischt. Ich wußte über Rosie nichts als das, was ich mir erbeutet hatte.
    Ich fragte Bob, ob ich noch etwas Zeit bis zum Essen hätte, ob ich Rosies Zimmer sehen könnte. Bob lächelte, gab mir einen Klaps auf die Schulter und meinte, es sei noch eine halbe Stunde Zeit. Aber ich solle nichts durcheinander bringen. Rosie merke das sofort.
    Als ich hinaufging, sickerten die Kindertage langsam in mein Bewußtsein zurück, und ich erinnerte mich daran, daß Rosie nicht erst gestern Haus und Garten immer mehr Bob überlassen hatte. Er hatte sich nie als Vater aufgespielt, aber er war immer da gewesen, auf eine besondere Art vertraut, was ich von Rosie nicht behaupten kann. Vielleicht nahm er die Rolle ein, die in besseren Familien Erzieherinnen oder Nannies erfüllen. Im zweiten Stock öffnete ich die Tür zu einem kleinen Salon, dessen Fenstertüren auf einen Balkon in Richtung Promenade führten. Man sah den trägen Fluß und dahinter die Skyline, ein Bild, das in Filmen wirklicher wirkt als in der Wirklichkeit. Der Raum war elegant, aber nichts wies darauf hin, daß unverwechselbar Rosie hier wohnte. Ein weißer Spannteppich bedeckte den Boden. Darauf standen sorgsam ausgesuchte Möbel, Antiquitäten von der Madison Avenue, Portieren und Sofas in englischem Chintz, weißgrundig mit bunten Blumen bedruckt. Eine Flügeltür führte zum Schlafzimmer, dessen Balkon auf den kleinen Garten hinausging.
    Erst jetzt, da ich mich an das Haus in Brooklyn Heights erinnere, fällt mir auf, wie ähnlich es meinem hier in Brüssel ist. Sogar der lange schmale Garten, der von einer Backsteinmauer umfriedet ist, gleicht dem an Rosies Haus. Ich setzte mich auf ihr Bett, ein elegantes queensize mit Messingverzierung am Kopfteil und Kissen unterschiedlicher Größen.
    Rechts und links davon standen Kommoden mit Schubfächern, gegenüber dem Fußende ein Kamin, darüber ein goldgerahmtes mir unbekanntes Frauenporträt. Vom Bett aus konnte man in den dicht verschneiten Garten sehen. Bob hatte mir erzählt, der Teich sei im Sommer mit Seerosen bedeckt. Jetzt ragte nur die steinerne Figur heraus, eine Kopie des mythischen Knaben mit Delphin.
    Eher mechanisch zog ich an dem Klöppel, um eine der kleinen Kommoden zu öffnen. Schlaftabletten lagen da, ein bißchen Schmuck, einige Visitenkarten. Nie zuvor hatte ich in den Sachen meiner Mutter gewühlt. Ich wollte nicht stöbern, nichts herausfinden, ich wollte die Sachen nur anfassen. Ich war sicher, daß das Berufsgeheimnis ihr einziges Geheimnis war. Alle anderen hatte sie abgeschafft durch Vergessen. Ich zog die Schublade ganz auf. Die Dinge darin lagen ordentlich neben- und übereinander. Im hinteren Teil entdeckte ich ein verschnürtes Bündel Papier. Ich zögerte. Als ich die Blätter auseinanderfaltete, stellte ich gerührt fest, daß es sich um meine Zeugnisse aus der Highschool handelte, die Benachrichtigung der beiden Stipendien, eine Kopie meiner Doktorurkunde. Dazu eine Photographie von mir, im Winter mit Schlitten. Ich wickelte alles wieder ein und legte es zurück. Bob rief hinauf, das Essen sei fertig. Er hatte ein weißes Tuch auf den Boden gedeckt, rechts und links vor den Kamin zwei Sitzkissen drapiert, in der Mitte stand Wein. Bob verteilte Lamm, Süßkartoffeln und Bohnen auf die Teller, goß Rotwein ein und machte es sich bequem. Ich hatte ihn nie nach seinem Befinden gefragt. Ob er glücklich mit Rosie war. Was er von ihren Heimlichkeiten hielt. Davon, daß sie immer jünger, immer künstlicher aussah und vermutlich seit Jahren nicht mehr mit ihm schlief. Auf Bobs Gesicht lag nicht die Spur von Unzufriedenheit.
    »Bob, hat dir Rosie je von meinem Vater erzählt? Einen Namen genannt? Wie sie ihn suchen wollte und wo? Hat sie je mit dir über die Zeit vor dir gesprochen?«
    »Deinen Vater suchen? Wozu? Wie kommst du auf diese Idee?«
    »Ich dachte, das sei ihr Grund gewesen, in die Staaten zu gehen. Wir haben nie ausführlich darüber gesprochen, aber … Ich meine mich zu erinnern, sie hätte einmal so etwas erwähnt.«
    »Sie hat wohl angegeben, daß sie deinem Vater hierher folgt. Sie nannte der Einwanderungsbehörde irgendeine Adresse und einen Namen in Manhattan. Sie wollte unbedingt von Deutschland fort. Ich habe das nie verstanden. So ein schönes Land! Sie wollte Amerikanerin werden. Sie wußte, daß sie hier bleiben

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