Perlentod
ziehen würde, voll Verlangen. Nun mit der ganzen Hand das Gesicht streicheln würde. Sie würde ihre Augen aufschlagen und ihr Blick würde in den schönsten Augen versinken. Dann würde er ihr Gesicht zu sich ziehen, sie leidenschaftlich küssen. Er sie…
Energisch schüttelte Senta den Kopf, um den Tagtraum zu verscheuchen. Riko würde sie niemals besuchen kommen. Er verschwendete wahrscheinlich noch nicht mal einen Gedanken an sie. Aus den Augen, aus dem Sinn. Damit sollte sie sich langsam abfinden. Wütend beschloss sie, weitere Riko-Fantasien gnadenlos zu stoppen.
3
Ich vermisse unsere Streunerin. Hast du sie in den letzten Tagen gesehen?«, wollte ihre Mutter am Montagmorgen beim Frühstück wissen.
»Welche Streunerin?« Vorsichtshalber stellte Senta sich dumm.
»Na, die rote Katze. Hörst du sie noch nachts?«
Senta schüttelte stumm den Kopf. Wieder einmal hatte sie keine Lust zu reden. Schon gar nicht über dieses Thema.
»Es wird ihr doch nichts zugestoßen sein?«
»Ich vermisse sie jedenfalls nicht«, murmelte Senta und verstaute eine Flasche Wasser in ihrem Schulrucksack.
»Fahr vorsichtig«, rief ihr die Mutter nach, während Senta sich bereits auf ihr Mountainbike schwang. Wie jeden Morgen, wenn es nicht gerade Tennisbälle hagelte oder Eis regnete, radelte sie die sieben Kilometer zur Schule nach Gansham, der nächstgelegenen Kreisstadt. Auf dem Weg über die Landstraße begann sie wieder zu grübeln. Der Gedanke an die nächsten Schulstunden bereitete ihr Kopfzerbrechen. Noch immer fühlte sie sich der Klasse nicht zugehörig. Eher wie eine Gastschülerin auf Dauer. Da gab es zwar Rebecca, die sie immer wieder aufforderte, sich am Nachmittag miteinander zu treffen. Doch Senta war ihren Angeboten bisher mit fadenscheinigen Ausreden ausgewichen. Denn Rebecca gehörte zu den »Uncoolen«. Das merkte man nicht nur an ihren Klamotten, sondern auch daran, dass sie eigentlich nie auffiel. Sie benahm sich einfach immer normal und halt irgendwie uncool.
Vor allem hatte Rebecca nichts mit den Beliebten in der Klasse zu tun. Und Miriam, das angesagteste Mädchen, behandelte Rebecca wie Luft. Dass Rebecca das nichts ausmachte, nötigte Senta wiederum Respekt ab. In München hatte sie die Mitläufer ohne eigene Meinung nie leiden können. Heute, nahm sie sich vor, würde sie auf Rebecca zugehen. Schließlich schien sie wirklich nett zu sein und Senta konnte dringend eine Freundin gebrauchen. In letzter Zeit fühlte sie sich sehr alleine. Genau wie Rico hatte sie auch ihre beste Freundin Leni im weit entfernten München zurücklassen müssen. In der ersten Zeit nach ihrem Umzug hatten sie noch täglich miteinander telefoniert, sich bei Skype getroffen und Senta war fast jedes zweite Wochenende mit dem Zug nach München gefahren. Auch Leni hatte sie ab und an in Harting besucht. Doch seit ein paar Monaten war der Kontakt abgeflaut. Andauernd waren Lenis Wochenenden verplant. Zwar telefonierten sie noch miteinander, aber das geschah längst nicht mehr täglich. Und im Chat war seit einiger Zeit jedes Mal auch ihre gemeinsame Freundin Cora anwesend. Eigentlich hatte Senta nichts gegen Cora. Aber seit sie so dick mit Leni befreundet war, fühlte sich Senta zunehmend überflüssig. Wenn sich die zwei über ihre neuesten Großstadterlebnisse austauschten, konnte Senta sich nur in Schweigen hüllen. Deshalb passierte es immer häufiger, dass sie sich schon nach kurzer Zeit aus dem Gespräch verabschiedete. Dann täuschte sie vor, dass sie sehr beschäftigt sei. Mit der Schule, neuen Freunden und dem Sport. Die letzten drei Tage war sie gar nicht mehr online gegangen, aber das würde Leni vermutlich eh nicht bemerken. Jedenfalls hatte sie auch keine Anstalten gemacht anzurufen. Senta spürte, wie sie langsam vergessen wurde. Und das tat weh.
Im Klassenzimmer angekommen, zerschlugen sich Sentas Pläne sofort. Rebecca war nicht da. Zwangsläufig musste sie in Biologie mit dem tollpatschigen Peter zusammenarbeiten. Auch das noch!
Während sie grüne Augentierchen unter dem Mikroskop betrachten, schaffte Peter es tatsächlich, sie mit dem Objektträger zu treffen. Ein schlierig grüner Fleck zierte nun ihr weißes Shirt. Auf Brusthöhe. Als in der darauffolgenden Stunde auch noch ihr geliebtes Fach Deutsch von Herzer, dem meistgehassten Lehrer der Schule vertreten wurde, rutschte Sentas Laune auf den Tiefpunkt. Sie starrte aus dem Fenster und wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich erwachsen zu sein und
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