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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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alles.«
    Caroline durchzuckte kurz unbegründete Eifersucht. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, warum Dianas Name ihr von Anfang an bekannt vorgekommen war – blasse Erinnerungen an Weihnachtspost mit der schwungvollen Unterschrift »Diana«, während ihre Mutter ihr von einer Freundin der Familie erzählte, Geschichten, die zum einen Ohr hinein- und zum anderen wieder hinausgingen, weil sie noch zu unreif war, ihre Bedeutung zu erkennen.
    »Es ist schwer für Sie, in einem Moment wie diesem, ohne eine Mutter.« Dianas Stimme klang nun freundlicher. »Wie alt waren Sie, als sie starb?«
    »Dreißig. Das ist mehr als zehn Jahre her.«
    »Und wenn sie jetzt hier wäre, was würde sie Ihnen wohl wegen Ihrem Ehemann raten?«
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Dann werden diese Briefe Ihnen vielleicht bei der Entscheidung helfen, ob Sie zu ihm zurückgehen oder nicht.«
    Diana erhob sich. »Sie müssen mich nun leider entschuldigen, meine Liebe. Ich muss ins Bett. Ich bin schrecklich müde.«
    Erst nachdem die alte Dame nach oben gegangen war, wurden Caroline zwei Dinge bewusst. Erstens, dass sie Diana nicht gefragt hatte, was aus Edward geworden war, dem hinterbliebenen Liebhaber ihrer Großmutter. Und zweitens, dass Grace immer noch nicht zurückgerufen hatte. Wo um alles in der Welt steckte sie bloß wieder?

Helen
    1942–1980

25
    Später, sehr viel später, wenn Helen sich gestattete, an den Tag zu denken, an dem ihre Mutter starb, kam ihr zuerst die V1-Rakete in den Sinn. In ihrer damaligen Vorstellung war beides miteinander verbunden. Tatsächlich hatte sie eine Zeit lang sogar geglaubt, dass es womöglich ein Versehen gab. Vielleicht war Mummy gar nicht an dem seltsamen Geschwür im Kopf gestorben, das sie ständig müde machte, sodass sie sich immer auf die Couch legen musste, wenn sie von Mr Lewis zurückkam. Vielleicht war sie von derselben Flugbombe mit dem merkwürdigen, knatternden Geräusch getötet worden, die beinahe Frank und sie getötet hätte.
    Sie waren an jenem Morgen wie immer auf dem Weg zur Schule. Edna hatte ihnen zum Abschied wie immer die Rucksäcke umgehängt, wobei Helen auf ihrem Rücken auch die verhassten Algebrabücher trug. Auf Borneo musste sie kein Algebra üben, klagte Helen oft, was ihr kein Wohlwollen einbrachte, weder von Edna noch von der Schuldirektorin. Es kam Helen und Frank gar nicht so seltsam vor, dass ihre Mutter nicht mehr da war, schließlich waren sie es gewohnt, dass sie unter der Woche auswärts arbeitete. Kein Mensch hatte etwas davon gesagt, dass sie krank war. Später, als Helen selbst erwachsen war, versuchte sie sich zu erinnern, ob ihre Mutter damals auffallend dünn oder blass gewirkt hatte oder ob es Anzeichen gegeben hatte, dass etwas nicht stimmte, aber ihr fiel nichts ein.
    Ihren Schulweg kannten sie nach über einem Jahr sehr gut. Außerdem war Helen schon vierzehn und durchaus in der Lage, sich alleine zurechtzufinden, wie sie Edna erklärte. Es war in Momenten wie diesen, wenn Edna losjammerte, dass Helen sich doch immer eine Kinderfrau wünschte statt einer Haushälterin.
    »Wir kommen zu spät«, sagte sie und zog Frank am Kragen, weil er stehenblieb, um einen Schmetterling zu beobachten, der auf einer Bruchsteinmauer saß. Es war eine hübsche Mauer, die von kleinen violetten Blüten überquoll, die Blaukissen genannt wurden, wie Helen einige Jahre später lernte. Danach bekam das Wort »Blaukissen« irgendwie die gleiche Bedeutung wie Flugbomben und Geschwüre im Kopf.
    Ihr kleiner Bruder zielte mit dem Fuß auf ihr Schienbein. »Lass mich.«
    Helen lachte. Sie war, wie Mummy immer sagte, einer der wenigen Menschen auf dieser Erde, der mit Frank umgehen konnte. »Versuch doch, mich aufzuhalten. Na los, fang mich!«
    Sie rannte los, während der Rucksack gegen ihre Rippen schlug, und hoffte, dass Frank ihr folgte. Es gehörte zu ihren Tricks, ein Wettrennen mit ihm zu machen, da er sich dann beeilte, ohne dass es ihm bewusst war. Mummy und sie waren ständig damit beschäftigt, Frank Beine zu machen. Was für ein Herumtrödler!
    Und dann hörte sie es. Zuerst dachte sie, ihr Bruder würde quengeln. Das machte er auch immer, genau wie herumbummeln. Aber dann wurde Helen klar, dass dieses Geräusch viel schriller klang. Es war die Art von Geräusch, bei dem es einem eiskalt über den Rücken lief, wie wenn die Lehrerin mit den Fingernägeln über die Tafel fuhr. Und dann herrschte Stille.
    »Wenn du ein lautes Knattern hörst und dann nichts mehr, musst

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