Perlentöchter
betrachtete, mit dem gemütlichen Zweiersofa, dem roséfarbenen Fußhocker und dem farblich abweichenden, tiefen Ohrensessel, der mit seinen geschwungenen Flügeln aussah, als wäre er für einen Mann gemacht, obwohl Diana mit ihrer stattlichen Größe perfekt hineinpasste. »Sie können ihnen nicht ständig erzählen, dass er arbeiten muss.«
Caroline nahm einen Schluck von dem Bombay Sapphire Gin, den Diana offenbar gerne trank, der Anzahl der Flaschen nach zu urteilen, als sie den Schrank nach der Aufforderung öffnete: »Bedienen Sie sich, meine Liebe. Ich werde mir auf jeden Fall einen genehmigen.«
»Aber was soll ich ihnen sagen? Dass ihr Vater eine Affäre hat?«
Diana zuckte mit den Schultern. Sie hatte den Turban inzwischen abgenommen und enthüllte einen grauen Bubikopf, der ihr großartig stand, besonders zusammen mit den langen silbernen Hängeohrringen. Sie trug ein violettes Mantelkleid, in dem sie für ihr Alter unglaublich elegant wirkte. Nur bei genauerem Hinsehen konnte man ihre Falten erkennen. »Nach meinen Erfahrungen halten Kinder mehr aus, als wir ihnen zutrauen. Sie werden es Ihnen hoch anrechnen, wenn Sie ihnen die Wahrheit sagen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sie Ihnen nie wieder vertrauen.«
Caroline fragte sich, was wohl in ihrer Mutter vorgegangen war, nachdem sie vom Tod ihrer eigenen Mutter erfahren hatte. Hatte sie es Rose übelgenommen, dass sie sie nicht vorgewarnt hatte? Zu spät – Caroline wünschte, sie hätte ihre Mutter mehr über jene Zeit gefragt. Das Einzige, woran sie sich erinnerte, war, dass Helen einmal gesagt hatte, sie sei keine gute Mutter, weil sie selbst keine Mutter gehabt hatte. »Sei nicht albern«, hatte Caroline darauf erwidert und ihre Mutter umarmt. »Du bist die beste Mutter der Welt.« Die Erinnerung stimmte sie traurig. Vor langer Zeit hatte sie sich angewöhnt, ein Metalltor in ihrem Kopf herunterzulassen, wenn sie an den Tod ihrer Mutter denken musste. Das war die einzige Möglichkeit, es auszuhalten. Wenn man drei Kinder habe, hatte sie dem Arzt damals erklärt, als sie sich Medikamente verschreiben lassen wollte, habe man keine Zeit zu trauern. Nur Zeit, das Thema zu wechseln, um sich nicht aufzuregen.
»Sie haben bei unserem ersten Treffen erwähnt, dass Sie während des Kriegs mit meiner Großmutter bei John Lewis gearbeitet haben.«
Diana lächelte, und ihre veilchenblauen Augen, die zu dem Mantelkleid passten, nahmen einen entrückten Ausdruck an. »Das stimmt allerdings. Wir hielten uns damals für etwas Besonderes, wissen Sie? Wir haben Arbeiten verrichtet, die zuvor nur Männer gemacht hatten. Ihre Großmutter war wunderbar. Eine Teamleiterin, wie man das heute nennen würde. Und sie hatte einen großartigen Sinn für Humor. Der Evening Standard hat einmal über sie berichtet, haben Sie das gewusst?«
»Wirklich?« Neugierig und etwas ungläubig griff Caroline nach dem Zeitungsausschnitt, den Diana aus ihrer Tasche kramte. Da war sie! Es war seltsam, dasselbe Porträt in der Zeitung zu sehen, das auf Carolines Frisierkommode stand und auf dem Rose ihr mit den kurzen, gewellten Haaren, einer modischen Frisur in den Kriegsjahren, und den großen weißen Ohrringen kühl entgegenblickte. Um ihren Hals lagen die Perlen. Ihre Perlen. Rose machte einen herrlich unerschütterlichen und zuversichtlichen Eindruck unter der Überschrift »Neue Gesichter in London«.
»Warum haben die über sie berichtet?«
Diana lachte. »Sie war eben etwas Besonderes, Ihre Großmutter. London war damals noch überschaubarer, und wir verkehrten in gehobenen Kreisen. Ich nehme an, Rose wäre der Königin vorgestellt worden, wenn der Erste Weltkrieg nicht gewesen wäre.«
Das traf wohl zu. Großtante Phoebe, die jünger war, hatte damals die Ehre, Queen Mary persönlich kennenzulernen. Caroline besaß davon auch eine Aufnahme, auf dem Klavier im ehemaligen Wohnzimmer. Aber zu diesem Zeitpunkt war Rose bereits nach Borneo ausgewandert, sicher verheiratet. Trotzdem war die Vorstellung seltsam, dass ihre Großmutter in halb aristokratischen Kreisen verkehrt hatte. »Ich glaube, Roses Vater war ein Osteopath, einer der ersten. Von Ihrer Mutter weiß ich, dass die Königin ihn einmal zu sich bestellte, um den Prinzen zu behandeln, der sich beim Polo am Knie verletzt hatte.«
Caroline erinnerte sich dunkel, dass ihre Mutter auch ihr das einmal erzählt hatte. Warum war es bloß so, dass Kinder ihren Eltern nie richtig zuhörten und erst neugierig wurden, wenn
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